Auf bes­tem Weg auf ei­ge­nen Fü­ßen zu stehen

25. Aug 2018 | Pres­se, Pres­se 2018 | 0 Kom­men­ta­re

Von Hei­ke Bergt | Mär­ki­sche All­ge­mei­ne Zeitung 

Es war lnes Krü­gers größ­ter Wunsch. von kei­nem Amt mehr fi­nan­zi­ell ab­hän­gig zu sein – mit Aus­bil­dungs­start wird sie die Ca­ri­tas-Werk­statt verlassen

Ora­ni­en­burg. Ei­nen ei­ser­nen Wil­len, den kann man lnes Krü­ger wirk­lich nicht ab­spre­chen. Die 28 Jäh­ri­ge kämpft ihr gan­zes Le­ben lang. In ei­ner Wo­che be­ginnt ihre Aus­bil­dung zur Ver­kau­fen und da­mit geht all­mäh­lich ihr größ­ter Traum in Er­fül­lung: selbst­stän­dig le­ben zu kön­nen. Von kei­nem fi­nan­zi­ell ab­hän­gig zu sein. Ir­gend­wann mit ih­rem Freund eine ge­mein­sa­me Woh­nung be­zie­hen zu kön­nen. Es war ein lan­ger Weg.

Ines Krü­ger stammt aus der Lu­ther­stadt Wit­ten­berg. Auf­ge­wach­sen in Des­sau, be­such­te sie eine För­der­schu­le für Kin­der mit Kör­per- und Lern­be­hin­de­run­gen. An­schlie­ßend ar­bei­tet sie in ei­ner Werk­statt für Men­schen mit Be­hin­de­run­gen in Des­sau, un­ter an­de­rem in der Wä­sche­rei. Ihr Han­di­cap be­schreibt sie rund­weg so: “Ich kann ein­fach nicht gut­schrei­ben.” Und auch mit Ma­the ste­he sie auf Kriegs­fuß. Aber am meis­ten hat­te sie wohl mit Vor­ur­tei­len zu kämp­fen, bei ihr reicht das Po­ten­zi­al nicht, das habe sie im­mer wie­der zu hö­ren be­kom­men. Kei­ner trau­te ihr et­was zu. “Vor fünf Jah­ren fand ich, es muss sich was in mei­nem Le­ben än­dern.” Ge­sagt, ge­tan. Sie be­warb sich beim DRK, ei­ner Werk­statt in Pots­dam und bei der Ca­ri­tas Werk­statt in Ora­ni­en­burg. “Die ers­ten, die sich mel­den, da gehe ich hin.” Nahm sie sich vor. Es wa­ren die Oranienburger.

Sie hat eine rich­tig tol­le Be­wer­bungs­map­pe ge­schickt”, er­in­nert sich die lei­ten­de So­zi­al­ar­bei­te­rin Ve­ro­ni­ka Pri­wit­zer, die zu­sam­men mit Job-Coach Alex­an­der Pläp bei der Ca­ri­tas-Werk­statt St. Jo­han­nes­berg ar­bei­tet. Alex­an­der Pläp ver­sucht, für Men­schen mit Be­hin­de­rung ei­nen so ge­nann­ten “aus­ge­la­ger­ten Ar­beits­platz” auf dem ers­ten Ar­beits­markt zu fin­den. Das sei gar nicht so ein­fach. Bis­her hat die Ca­ri­tas Un­ter­neh­men ge­fun­den für zwölf aus­ge­la­ger­te Ar­beits­plät­ze. So bei der Bus-Werk­statt der OVG, im Tier­park Ger­men­dorf, bei ei­ner Elek­tro­fir­ma, beim Se­nio­ren­woh­nen in Vel­ten, bei der HSE Stah­len­gi­nee­ring, bei der Eden Ge­nos­sen­schaft, in der Kita “Leucht­turm” des CJO, bei Ta­ke­da und bei Edeka.

Je­der soll­te die Chan­ce be­kom­men, sich auf dem ers­ten Ar­beits­markt aus­zu­pro­bie­ren”, ist Alex­an­der Pläp über­zeugt. Manch­mal gebe es Vor­be­hal­te und der Ver­mitt­lungs­auf­wand sei hoch. Und ein wich­ti­ger Bau­stein ist die enge Be­glei­tung durch den Job­coach wäh­rend der Prak­ti­ka und bei den aus­ge­la­ger­ten Ar­beits­plät­zen. Eine ehe­ma­li­ge Be­schäf­tig­te konn­te 2017 als Zim­mer­mäd­chen in eine Fest­an­stel­lung in ein Ber­li­ner Ho­tel ver­mit­telt wer­den. “Wenn es ge­lingt, Men­schen mit psy­chi­scher Er­kran­kung, geis­ti­ger Be­hin­de­rung oder ei­ner Lern­be­hin­de­rung in eine Aus­bil­dung oder Fest­an­stel­lung auf den ers­ten Ar­beits­markt zu ver­mit­teln, dann ist das für uns im­mer ein gro­ßer Er­folg. Die Wege kön­nen lang und be­schwer­lich sein. Eine ge­lun­ge­ne In­te­gra­ti­on auf den ers­ten Ar­beits­markt ist im­mer das höchs­te Ziel un­se­rer Ar­beit und wer es tat­säch­lich schafft, ist un­end­lich stolz. So wer­den wir un­se­rem Auf­trag als Werk­statt ge­recht”, so Ve­ro­ni­ka Priwitzer.

Im Sep­tem­ber 2014 be­gann Ines Krü­ger bei der Ca­ri­tas in Ora­ni­en­burg, ar­bei­te­te dort in der Kü­che und im Holz­be­reich. “Aber ich woll­te ein­fach nicht mehr vom So­zi­al­amt le­ben. Ich war im­mer ehr­gei­zig, woll­te raus, selbst Geld ver­die­nen und auf ei­ge­nen Fü­ßen ste­hen”, so die 28-Jäh­ri­ge, die in Ora­ni­en­burg zu Hau­se ist. Sie habe viel Un­ter­stüt­zung von ih­rer Fa­mi­lie, der Mut­ter, dem Bru­der, ih­rem Freund. “Ich habe jetzt das Ein­mal­eins schon wie­der drauf”, sagt sie vol­ler Stolz.

Seit Juni letz­ten Jah­res ar­bei­tet sie im Ede­ka-Markt von Mad­leen Tur­ban an der Sach­sen­hau­se­ner Stra­ße. Hier räumt sie Wa­ren ins Re­gal und sitzt sie an der Kas­se. Am An­fang hät­ten die Kun­den schon et­was mit den Au­gen ge­rollt, “weil es bei mir so lang­sam ging. In­zwi­schen sa­gen sie: Frau Krü­ger, Sie sind jetzt so schnell. Üb­ri­gens: Num­mer 7237 sind die To­ma­ten und 7490 die Gur­ken”, sagt sie und lacht. Das hät­ten nicht alle im Kopf. Che­fin Mad­leen Tur­ban fin­det die Idee der “aus­ge­la­ger­ten Ar­beits­plät­ze” sehr gut. Sie hat ei­nen zwei­ten in ih­rem Markt an der Ber­li­ner Stra­ße. Es wür­den ja bei­de Sei­ten profitieren.

Am 1.September heißt es für lnes Krü­ger Ab­schied neh­men. Die Theo­rie für die Aus­bil­dung als “Fach­prak­ti­ke­rin im Ein­zel­han­del” mit lHK-Ab­schluss er­fährt sie im Be­rufs­bil­dungs­werk Ober­lin­haus Pots­dam, die prak­ti­sche Ar­beit in ei­nem Su­per­markt. Ein we­nig trau­rig ist sie schon, aber der Wunsch, eine Aus­bil­dung zu ma­chen und da­mit auch ih­ren Haupt­schul­ab­schluss zu pa­cken, ist stärker.

Wo sie sich in zehn Jah­ren sieht? “Ei­gent­lich woll­te ich ja im­mer Schu­he ver­kau­fen. Viel­leicht ma­che ich das dann ja. Jetzt bin ich erst­mal stolz, so weit ge­kom­men zu sein. Ich weiß, dass mir die Theo­rie in der Aus­bil­dung schwer­fal­len wird”, sagt sie. Aber sie will kämp­fen. Wie immer.