Mit be­son­de­rem Anspruch

8. Aug 2012 | Pres­se, Pres­se 2012 | 0 Kom­men­ta­re

Von Frau­ke Her­weg | Mär­ki­sche All­ge­mei­ne Zeitung

Bei der Agen­tur “Fak­tor C” ar­bei­ten Men­schen mit see­li­schen Behinderungen

Man­che wol­len im­mer 150 Pro­zent ge­ben. Das müs­sen sie gar nicht. Bei „Fak­tor C”, ei­nem Un­ter­neh­men der Ora­ni­en­bur­ger Ca­ri­tas-Werk­statt, dür­fen sie ih­ren ei­ge­nen Ar­beits­rhyth­mus finden.

Ora­ni­en­burg | Name der Kli­nik, me­di­zi­ni­sche Ab­tei­lung, Te­le­fon­num­mer – hin­ter Mar­co Pahs schnei­det sich der La­ser durch den Kau­tschuk und stellt Ab­druck­plat­ten für die Stem­pel ei­nes Ber­li­ner Kran­ken­hau­ses her. Be­däch­tig prüft Pahs an­schlie­ßend, ob die Plat­ten auch ein sau­be­res Stem­pel­bild ab­ge­ben. “Ei­nen Rand darf es nicht ge­ben”, sagt er.

Seit fast drei Jah­ren be­schäf­tigt “Fak­tor C”, ein Un­ter­neh­men der Ora­ni­en­bur­ger Ca­ri­tas-Werk­statt, Men­schen mit see­li­schen Be­hin­de­run­gen und psy­chi­schen Er­kran­kun­gen. Etwa 70 Be­schäf­tig­te stel­len in der Agen­tur Lay­out­vor­la­gen, Bro­schü­ren, Be­schrif­tun­gen, Stem­pel oder Wer­be­pro­duk­te her. Ein Teil der Be­schäf­tig­ten über­nimmt zu­dem Mon­ta­ge- und Kon­fek­tio­nie­rungs­ar­bei­ten oder ar­bei­tet in der zu “Fak­tor C” ge­hö­ri­gen “Can­ti­na”, ei­ner Kü­che, die mit­ten im Ora­ni­en­bur­ger Ge­wer­be­ge­biet Nord Früh­stück und Mit­tags­tisch anbietet.

Die meis­ten Be­schäf­tig­ten ha­ben zu­vor ge­ar­bei­tet, auch auf an­spruchs­vol­len Stel­len. Nach per­sön­li­chen Schick­sals­schlä­gen, durch De­pres­sio­nen, Angst­er­kran­kun­gen, Zwangs­er­kran­kun­gen oder Schi­zo­phre­nie sei­en sie ir­gend­wann “aus dem Ar­beits­le­ben ge­fal­len”, sagt Werk­statt­lei­ter Chris­toph Lau. Bei “Fak­tor C” ver­su­chen sie ei­nen Neuanfang.

Das Un­ter­neh­men will Be­schäf­ti­gung bie­ten ohne den sonst üb­li­chen Leis­tungs­druck. Be­schäf­tig­te und Be­treu­er ver­su­chen aus­zu­lo­ten, wel­che Ar­beit und wie­viel da­von der Ein­zel­ne zu leis­ten ver­mag. Ein sorg­fäl­ti­ges Aus­ta­rie­ren der ei­ge­nen Grenzen.

Wer zu­vor ge­wohnt war, im­mer 150 Pro­zent zu ge­ben, müs­se mög­li­cher­wei­se ler­nen, dass auch 100 Pro­zent aus­rei­chen kön­nen, sagt So­zi­al­ar­bei­te­rin Ka­tha­ri­na Rie­del. Re­gel­mä­ßig – alle ein­ein­halb Stun­den etwa – schi­cken die Grup­pen­lei­ter die Be­schäf­tig­ten in die Pau­se. “Sich ver­läss­lich zu­rück­zie­hen kön­nen”, nennt Rie­del das.

Rie­del ver­sucht zu­dem zu ver­mit­teln, wenn es zu Kon­flik­ten kommt – wenn das Ru­he­be­dürf­nis des ei­nen nicht zu der Un­ru­he des an­de­ren passt. Oder wenn der Blick oder die Be­mer­kung ei­nes Kol­le­gen als so un­ge­heu­er pro­vo­zie­rend emp­fun­den wird, dass ein Drit­ter die Wo­gen glät­ten muss.

Fünf Grup­pen­lei­ter mit päd­ago­gi­schen Zu­satz­aus­bil­dun­gen be­treu­en die ein­zel­nen Ar­beits­grup­pen. So­zi­al­ar­bei­te­rin Rie­del bie­tet im Kon­flikt­fall Ge­sprä­che an. “Bei dem gro­ßen Auf­wand an wei­ter­ge­hen­der Be­treu­ung und per­sön­li­chem Ge­sprächs­be­darf ein “sehr knapp be­mes­se­ner” Schlüs­sel, so Lau. Die Nach­fra­ge nach Ar­beits­plät­zen bei “Fak­tor C” ist groß. Je­des Jahr nimmt das Un­ter­neh­men etwa 10 bis 12 neue Be­schäf­tig­te auf. Für Men­schen, die mög­li­cher­wei­se ei­nen Kli­nik­auf­ent­halt hin­ter sich ha­ben, gäbe es we­nig an­de­re An­ge­bo­te in der Re­gi­on, sagt Rie­del. Zu­dem wür­den sich um eine Auf­nah­me im­mer mehr jun­ge Men­schen be­mü­hen, die durch Dro­gen­miss­brauch im frü­hen Ju­gend­al­ter Psy­cho­sen ent­wi­ckelt hätten.

Schon vor sie­ben oder acht Jah­ren hat­te die Ca­ri­tas-Werk­statt St. Jo­han­nes­berg die Idee für das Un­ter­neh­mens­kon­zept von “Fak­tor C” ent­wi­ckelt. “Es gab eine im­mer grö­ße­re Nach­fra­ge nach Plät­zen für Men­schen, die ei­gent­lich nicht in das klas­si­sche Bild ei­nes in der Werk­statt Be­schäf­tig­ten pas­sen”, sagt Lau. Die Ca­ri­tas-Werk­statt be­schloss, ei­nen wei­te­ren Stand­ort zu ent­wi­ckeln. Für vie­le, die heu­te bei “Fak­tor C” ar­bei­ten, eine gro­ße Chan­ce – sich mit Be­schrän­kun­gen aus­ein­an­der­zu­set­zen, aber auch mit be­son­de­ren Fähigkeiten.

Ei­ge­ne Imkerei

  • Fak­tor C” stellt Druck- und Wer­be­er­zeug­nis­se her und über­nimmt zu­dem Mon­ta­ge­ar­bei­ten – für ein Hen­nigs­dor­fer Un­ter­neh­men sor­tie­ren und über­prü­fen die bei “Fak­tor C” Be­schäf­ti­gen etwa Reagenzgläser.
  • Zu dem Un­ter­neh­men ge­hö­ren zu­dem eine klei­ne Im­ke­rei und der Gas­tro­no­mie­be­trieb “Can­ti­na”, der ei­nen Mit­tags­tisch an­bie­tet und in­zwi­schen täg­lich 700 Es­sen aus­lie­fert – un­ter an­de­rem an städ­ti­sche Ki­tas. Als Ei­gen­pro­duk­te stellt das Un­ter­neh­men Ac­ces­soires aus Stoff, Filz und Le­der her. Auf Wunsch über­nimmt “Fak­tor C” Buchbindearbeiten.
  • Mit der Hen­nigs­dor­fer Ta­ges­kli­nik ar­bei­tet “Fak­tor C” eng zu­sam­men. Pa­ti­en­ten kön­nen das Un­ter­neh­men be­sich­ti­gen und sich über die Ar­beits­mög­lich­kei­ten in­for­mie­ren. Men­schen mit Be­hin­de­run­gen ha­ben ei­nen Rechts­an­spruch auf ei­nen ge­schütz­ten Ar­beits­platz. Wei­te­re In­fos un­ter www.faktor‑c.com.