Mit besonderem Anspruch
Bei der Agentur “Faktor C” arbeiten Menschen mit seelischen Behinderungen
Manche wollen immer 150 Prozent geben. Das müssen sie gar nicht. Bei „Faktor C”, einem Unternehmen der Oranienburger Caritas-Werkstatt, dürfen sie ihren eigenen Arbeitsrhythmus finden.
Oranienburg | Name der Klinik, medizinische Abteilung, Telefonnummer – hinter Marco Pahs schneidet sich der Laser durch den Kautschuk und stellt Abdruckplatten für die Stempel eines Berliner Krankenhauses her. Bedächtig prüft Pahs anschließend, ob die Platten auch ein sauberes Stempelbild abgeben. “Einen Rand darf es nicht geben”, sagt er.
Seit fast drei Jahren beschäftigt “Faktor C”, ein Unternehmen der Oranienburger Caritas-Werkstatt, Menschen mit seelischen Behinderungen und psychischen Erkrankungen. Etwa 70 Beschäftigte stellen in der Agentur Layoutvorlagen, Broschüren, Beschriftungen, Stempel oder Werbeprodukte her. Ein Teil der Beschäftigten übernimmt zudem Montage- und Konfektionierungsarbeiten oder arbeitet in der zu “Faktor C” gehörigen “Cantina”, einer Küche, die mitten im Oranienburger Gewerbegebiet Nord Frühstück und Mittagstisch anbietet.
Die meisten Beschäftigten haben zuvor gearbeitet, auch auf anspruchsvollen Stellen. Nach persönlichen Schicksalsschlägen, durch Depressionen, Angsterkrankungen, Zwangserkrankungen oder Schizophrenie seien sie irgendwann “aus dem Arbeitsleben gefallen”, sagt Werkstattleiter Christoph Lau. Bei “Faktor C” versuchen sie einen Neuanfang.
Das Unternehmen will Beschäftigung bieten ohne den sonst üblichen Leistungsdruck. Beschäftigte und Betreuer versuchen auszuloten, welche Arbeit und wieviel davon der Einzelne zu leisten vermag. Ein sorgfältiges Austarieren der eigenen Grenzen.
Wer zuvor gewohnt war, immer 150 Prozent zu geben, müsse möglicherweise lernen, dass auch 100 Prozent ausreichen können, sagt Sozialarbeiterin Katharina Riedel. Regelmäßig – alle eineinhalb Stunden etwa – schicken die Gruppenleiter die Beschäftigten in die Pause. “Sich verlässlich zurückziehen können”, nennt Riedel das.
Riedel versucht zudem zu vermitteln, wenn es zu Konflikten kommt – wenn das Ruhebedürfnis des einen nicht zu der Unruhe des anderen passt. Oder wenn der Blick oder die Bemerkung eines Kollegen als so ungeheuer provozierend empfunden wird, dass ein Dritter die Wogen glätten muss.
Fünf Gruppenleiter mit pädagogischen Zusatzausbildungen betreuen die einzelnen Arbeitsgruppen. Sozialarbeiterin Riedel bietet im Konfliktfall Gespräche an. “Bei dem großen Aufwand an weitergehender Betreuung und persönlichem Gesprächsbedarf ein “sehr knapp bemessener” Schlüssel, so Lau. Die Nachfrage nach Arbeitsplätzen bei “Faktor C” ist groß. Jedes Jahr nimmt das Unternehmen etwa 10 bis 12 neue Beschäftigte auf. Für Menschen, die möglicherweise einen Klinikaufenthalt hinter sich haben, gäbe es wenig andere Angebote in der Region, sagt Riedel. Zudem würden sich um eine Aufnahme immer mehr junge Menschen bemühen, die durch Drogenmissbrauch im frühen Jugendalter Psychosen entwickelt hätten.
Schon vor sieben oder acht Jahren hatte die Caritas-Werkstatt St. Johannesberg die Idee für das Unternehmenskonzept von “Faktor C” entwickelt. “Es gab eine immer größere Nachfrage nach Plätzen für Menschen, die eigentlich nicht in das klassische Bild eines in der Werkstatt Beschäftigten passen”, sagt Lau. Die Caritas-Werkstatt beschloss, einen weiteren Standort zu entwickeln. Für viele, die heute bei “Faktor C” arbeiten, eine große Chance – sich mit Beschränkungen auseinanderzusetzen, aber auch mit besonderen Fähigkeiten.
Eigene Imkerei
- “Faktor C” stellt Druck- und Werbeerzeugnisse her und übernimmt zudem Montagearbeiten – für ein Hennigsdorfer Unternehmen sortieren und überprüfen die bei “Faktor C” Beschäftigen etwa Reagenzgläser.
- Zu dem Unternehmen gehören zudem eine kleine Imkerei und der Gastronomiebetrieb “Cantina”, der einen Mittagstisch anbietet und inzwischen täglich 700 Essen ausliefert – unter anderem an städtische Kitas. Als Eigenprodukte stellt das Unternehmen Accessoires aus Stoff, Filz und Leder her. Auf Wunsch übernimmt “Faktor C” Buchbindearbeiten.
- Mit der Hennigsdorfer Tagesklinik arbeitet “Faktor C” eng zusammen. Patienten können das Unternehmen besichtigen und sich über die Arbeitsmöglichkeiten informieren. Menschen mit Behinderungen haben einen Rechtsanspruch auf einen geschützten Arbeitsplatz. Weitere Infos unter www.faktor‑c.com.