Fa­mi­lie mit Klein­kind in Not

18. Nov 2018 | Pres­se, Pres­se 2018 | 0 Kom­men­ta­re

Von Ste­fan Blum­berg | Mär­ki­sche All­ge­mei­ne Zeitung 

Die Bött­chers müs­sen aus ih­rer Woh­nung raus – eine neue gibt es noch nicht

Ora­ni­en­burg. Yvonne und Jörg Bött­cher läuft die Zeit da­von. Noch 13 Tage, dann müs­sen sie ihre Woh­nung im Fa­mi­li­en­haus in Ora­ni­en­burg ver­las­sen. Das Pro­blem: Sie ha­ben kei­ne neue Woh­nung. Es könn­te ein fa­mi­liä­res De­sas­ter wer­den, zu­mal da auch noch ihr 15 Mo­na­te al­ter Sohn Paul Ja­den Maik ist. In den ver­gan­ge­nen Mo­na­ten hat sich das Ehe­paar 30 Woh­nun­gen an­ge­se­hen, er­hielt aber kei­ne. Die letz­te Ab­sa­ge kam am 1. No­vem­ber von der Woba Ora­ni­en­burg mit der Be­grün­dung, “dass wir auf­grund ne­ga­ti­ver Bo­ni­täts­aus­künf­te an Sie kei­ne Ver­mie­tung vor­neh­men wer­den”. Yvonne Bött­cher sagt, dass sie sich so­gar bei der Ob­dach­lo­sen­stel­le er­kun­digt hät­ten, ob die Fa­mi­lie dort auf­ge­nom­men wer­den kön­ne. “Das ist nicht ge­wünscht.” Of­fen­sicht­lich blei­ben für das Paar laut ei­ge­nen Aus­sa­gen zwei Mög­lich­kei­ten, wenn es bis zum Ende des Mo­nats nicht eine Woh­nung fin­det. Ers­tens: Yvonne und Paul Ja­den Maik kom­men in ei­ner Mut­ter-Kind-Ein­rich­tung un­ter, Jörg wird ob­dach­los. Zwei­tens: “Sie neh­men uns Paul weg”, sagt die Mut­ti mit Trä­nen in den Augen.

Für Chris­toph Lau, dem Lei­ter der Ca­ri­tas-Werk­statt St. Jo­han­nes­burg in Ora­ni­en­burg, ist das nicht der ers­te gleich­ge­la­ger­te Fall. Es sei ganz nor­mal, dass Be­schäf­tig­te der Ca­ri­tas – es sind Mit­ar­bei­ter mit Be­ein­träch­ti­gun­gen – ir­gend­wann ver­su­chen, bei den El­tern oder dem be­treu­ten Woh­nen aus­zu­zie­hen, um auf ei­ge­nen Fü­ßen zu ste­hen. So, wie die Bött­chers. Sie si­gna­li­sier­ten Chris­tia­ni e. V., dem Trä­ger des Fa­mi­li­en­hau­ses, im April, dass sie ihr Fa­mi­li­en­le­ben selbst ge­stal­ten wol­len. In ei­ner ei­ge­nen Woh­nung. Die Kün­di­gung wur­de zum 30. No­vem­ber aus­ge­spro­chen. “Aber es fehlt an be­zahl­ba­rem Wohn­raum in Ora­ni­en­burg und Um­ge­bung, also in un­se­rem Ein­zugs­ge­biet”, so Chris­toph Lau. Pro­ble­ma­tisch für ihn: “Die Be­schäf­tig­ten su­chen sich au­ßer­halb un­se­res Ein­zugs­ge­bie­tes eine Woh­nung, müs­sen ihr so­zia­les Um­feld und den Ar­beits­platz bei uns auf­ge­ben.“ Er spricht von ei­ner Hand­voll Fäl­le in den ver­gan­ge­nen Jah­ren bei der Caritas.

Das Ehe­paar Bött­cher sei seit ein paar Wo­chen sehr gut bei der Ca­ri­tas in­te­griert. Die 40-jäh­ri­ge Yvonne ar­bei­tet am Hei­de­ring in der Pro­duk­ti­on, in der Ab­tei­lung für Mit­ar­bei­ter mit psy­chi­schen Be­ein­träch­ti­gun­gen. Arm­bän­der oder Ge­burts­tags­kar­ten stel­len sie dort her. Der 50-jäh­ri­ge Jörg ge­hört als Bei­koch zum Kü­chen­team, das täg­lich 700 Por­tio­nen kocht. “Ich be­kom­me im­mer mehr Ver­ant­wor­tung”, sagt er stolz. Kü­chen­lei­te­rin An­drea Bloch: “Er ist eine Be­rei­che­rung, bringt viel mit, zeigt den an­de­ren was. Für uns wäre es ein Ver­lust, wenn er nicht mehr kom­me würde.”

Chris­toph Lau ist ver­wun­dert über die Ab­sa­ge der Woba. “Die Mie­te wird vom Amt be­zahlt, kommt re­gel­mä­ßig.” Des­halb kön­ne er die feh­len­de Bo­ni­tät als Be­grün­dung nicht nach­voll­zie­hen. Bernd Jar­c­zew­ski, Ge­schäfts­füh­rer der Woba Ora­ni­en­burg: “Prin­zi­pi­ell ist es nicht so, dass po­ten­zi­el­le Mie­ter mit ei­nem Schufa-Ein­trag kei­ne Woh­nung be­kom­men. Aber man muss wis­sen, dass es kein Selbst­läu­fer ist, dass das Geld bei uns an­kommt, wenn es vom Amt be­zahlt wird.” Er spricht aus Er­fah­rung. Con­stan­ze Gatz­ke, Pres­se­spre­che­rin des Land­krei­ses, er­gänzt: “Das Job­cen­ter ist an­ge­hal­ten, das Ar­beits­lo­sen­geld II für Un­ter­kunft und Hei­zung di­rekt an den Ver­mie­ter zu über­wei­sen, wenn es zum Bei­spiel Miet- oder En­er­gie­kos­ten­rück­stän­de gibt.” Aber: In den an­de­ren Fäl­len kön­nen die Leis­tungs­emp­fän­ger selbst ent­schei­den, ob das Job­cen­ter oder sie die Über­wei­sung an den Ver­mie­ter vornehmen.

Wir sol­len als städ­ti­sche Ge­sell­schaft so­zi­al blei­ben. Das kön­nen wir, wenn wir Geld ein­neh­men. Wir ha­ben Ver­ant­wor­tung fürs öf­fent­li­che Ei­gen­tum.” Bernd Jar­c­zew­ski be­tont, dass die Woba auch Rand­grup­pen un­ter sei­nen Mie­tern hat. Aber er sieht den zu­sätz­li­chen Be­darf an Woh­nun­gen für Ziel­grup­pen wie Fa­mi­lie Bött­cher. “Da müss­te man po­li­tisch dran arbeiten.”

Chris­toph Lau hät­te zu­min­dest ei­nen Vor­schlag zu ma­chen: “War­um nicht zum Bei­spiel das Ka­ser­nen­ge­län­de in Lehnitz nut­zen? Da ist Platz.” Er hat bei der Ca­ri­tas schon ei­ni­ge Schick­sa­le die­ser Art mit­er­lebt. “Aber dass eine Fa­mi­lie so in Not ge­rät, hat­ten wir noch nicht.” Die Bött­chers, die in Ora­ni­en­burg ihr so­zia­les Um­feld ge­fun­den ha­ben, wis­sen nicht mehr ein und aus. Ihre größ­te Angst ist, dass ihre Fa­mi­lie zer­ris­sen wird.