Le­ben, ler­nen, arbeiten

30. Aug 2019 | Pres­se, Pres­se 2019 | 0 Kom­men­ta­re

Von Daria Doer | Ora­ni­en­bur­ger Generalanzeiger

120. Ge­burts­tag Die Ein­rich­tun­gen der Ca­ri­tas am St. Jo­han­nes­berg in Ora­ni­en­burg fei­ern am Wo­chen­en­de ein Ju­bi­lä­um. Sie sind ein le­ben­di­ger Be­stand­teil der Kreisstadt.

Be­woh­ner des St. Jo­han­nes­bergs kau­fen für ihre Grup­pen Le­bens­mit­tel ein, Schü­ler der Schu­le nut­zen die Sport­hal­le der Co­me­ni­us-Grund­schu­le und er­hal­ten Schwimm­un­ter­richt im Turm. Be­schäf­tig­te der Werk­statt fah­ren mit dem Nah­ver­kehr oder dem Rad zur Ar­beit, und alle nut­zen auch die öf­fent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel, wenn sie zu Aus­flü­gen oder Ex­kur­sio­nen un­ter­wegs sind.

Am An­fang stan­den die Do­mi­ni­ka­nerin­nern des Klos­ters Are­n­berg bei Ko­blenz. Sie er­war­ben für ihr Ber­li­ner Wai­sen­haus im Ka­tha­ri­nen­stift eine Som­mer­vil­la in der Ber­li­ner Stra­ße am da­ma­li­gen Stadt­rand Ora­ni­en­burgs, die den Kin­dern als Er­ho­lungs­heim die­nen soll­te. Wai­sen­kin­der ge­hör­ten 1899 noch zu den Ärms­ten und Hilfs­be­dürf­tigs­ten der Ge­sell­schaft und konn­ten ohne Un­ter­stüt­zung kaum über­le­ben. Schon bald fan­den 60 Wai­sen hier ein stän­di­ges Zu­hau­se, und es be­gann das bis heu­te sich fort­set­zen­de Wachs­tum der Ein­rich­tung. Seit 1902 prägt die Ka­pel­le das äu­ße­re Bild, und „sie ist noch im­mer das Herz­stück al­ler Ein­rich­tun­gen hier“, sagt An­drea Wen­ske, die Lei­te­rin der Ca­ri­tas-Schu­le St. Johannesberg.

Mög­lichst viel Selbstständigkeit

Hei­mat und Wohn­ort war der St. Jo­han­nes­berg von An­fang an. Heu­te be­her­bergt Ca­ri­tas-Woh­nen 94 Be­woh­ner an ver­schie­de­nen Stand­or­ten und be­treut am­bu­lant 37 selbst­stän­dig woh­nen­de Men­schen. „Un­ser Ziel ist so­zia­le In­te­gra­ti­on bei höchst­mög­li­cher Selb­stän­dig­keit“, sagt Ger­lin­de Fie­litz und fügt hin­zu, dass sich ei­ni­ge Be­woh­ner für Po­li­tik in­ter­es­sie­ren und zur Wahl ge­hen möch­ten. Für alle ist eine Ta­ges­struk­tur wich­tig. Die ei­nen ar­bei­ten in der Werk­statt, an­de­re sind in der Ta­ges­be­treu­ung mit ein­fa­chen Ar­bei­ten oder künst­le­ri­schen Tä­tig­kei­ten be­schäf­tigt. Nach der Rück­kehr in ihre Wohn­grup­pen ist der Nach­mit­tag je nach Vor­lie­be Hob­bies, Ki­no­be­su­chen, krea­ti­ven Ar­bei­ten oder ein­fach dem Tref­fen mit Freun­den gewidmet.Und na­tür­lich muss auch das Zim­mer in Ord­nung ge­bracht werden.

Werk­statt mit 416 Beschäftigten

Schon seit 1980 wur­den in der Ar­beits­the­ra­pie ein­fa­che Tä­tig­kei­ten für Be­trie­be in Ora­ni­en­burg und Ber­lin aus­ge­führt. Heu­te be­deu­tet Teil­ha­be am Ar­beits­le­ben das Recht auf För­de­rung, Aus­bil­dung und Be­schäf­ti­gung für je­den Men­schen mit Behinderung.

Die Ca­ri­tas-Werk­statt für Be­hin­der­te wur­de 1991 ge­grün­det. In­zwi­schen ist dar­aus ein mo­der­nes Un­ter­neh­men mit 416 Be­schäf­tig­ten ge­wor­den, das an drei Stand­or­ten in den Be­rei­chen Mon­ta­ge und De­mon­ta­ge, Hol­zund Me­tall­ver­ar­bei­tung, Wer­be­mit­tel­fer­ti­gung so­wie Gar­ten­bau, Kü­che und Wä­sche­rei für Pri­vat­per­so­nen, Hand­werks­be­trie­be und In­dus­trie tä­tig ist. „Sol­che Ar­beits­plät­ze soll­te es öf­ter ge­ben, da­mit Leu­te, die ar­bei­ten wol­len, auch ar­bei­ten kön­nen und ihre Fa­mi­lie sel­ber er­näh­ren“, sagt Uta Do­nath, die seit zehn Jah­ren in der Wä­sche­rei ar­bei­tet. Sie kommt je­den Tag gern, „weil man un­ter Leu­ten ist, Freun­de hat und gute Chefs“.

Ihre Toch­ter, Jo­se­fi­ne Ma­rie, be­sucht die Se­kun­dar­stu­fe 1 der Ca­ri­tas-Schu­le und mag Deutsch und Ma­the, „denn da lernt man was“. Ihr Klas­sen­ka­me­rad Wil­li Wen­zel da­ge­gen fin­det: „Das Bes­te an der Schu­le ist doch die Pau­se und dass man sei­ne Freun­de trifft.“

Die Schu­le ist das jüngs­te Mit­glied in der St. Jo­han­nes­berg-Ge­mein­schaft, weil in der DDR für geis­tig be­hin­der­te Kin­der kei­ne Schul­pflicht be­stand. Sie steht heu­te auf dem groß­zü­gi­gen Ge­län­de der Hild­burg­hau­se­ner Stra­ße 4. Hier wer­den 88 Schü­ler im Al­ter von 6 bis 18 Jah­ren nach dem Rah­men­lehr­plan für Kin­der mit dem Schwer­punkt geis­ti­ge Ent­wick­lung un­ter­rich­tet. In den zehn Klas­sen reicht das Spek­trum von mehr­fach schwer­be­hin­der­ten Kin­dern, die durch grund­le­gen­de, ba­sa­le An­rei­ze in Wahr­neh­mungs­mög­lich­keit und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­keit ge­för­dert wer­den, bis zu sol­chen, die die Grund­la­gen des Le­sens, Schrei­bens, Rech­nens er­ler­nen kön­nen. Ei­nen Schwer­punkt bil­det ne­ben der so­zia­len die le­bens­prak­ti­sche Aus­bil­dung. Es gibt Haus­wirt­schafts­un­ter­richt, die Schü­ler be­rei­ten Mahl­zei­ten zu, kau­fen ein und ko­chen nach ein­fa­chen Re­zep­ten. Die Grö­ße­ren ma­chen ein Werk­statt­prak­ti­kum. Vie­le wech­seln nach der Schul­zeit in die Werk­statt. Es gab vie­le Jah­re eine Schul­band, die die Fes­te ver­schö­ner­te, und eine Thea­ter-AG, die in Ki­tas und der Früh­för­der­stel­le auf­trat. Heu­te gibt es noch die Schü­ler­fir­ma Jo­han­nes­bör­ger und seit die­sem Jahr das Gemüseackerdemie-Projekt.

Seit 120 Jah­ren ha­ben im St. Jo­han­nes­berg die Schwächs­ten der Ge­sell­schaft eine Hei­mat. Sie kön­nen ihre Per­sön­lich­keit ent­wi­ckeln und wer­den da­bei un­ter­stützt und gefördert.

Am Sonn­abend wird auf dem Ge­län­de in der Ber­li­ner Stra­ße 91–93 in Ora­ni­en­burg ge­fei­ert. Um 14 Uhr be­ginnt ein Fest­got­tes­dienst. Au­ßer­dem gibt es ein Bühnenprogramm.

St. Jo­han­nes­berg Ge­schich­te
1899: St. Jo­han­nes­berg wird ge­grün­det, um Wai­sen­kin­der zu be­treu­en
1902: Bau der Ka­pel­le be­ginnt
1954: Auf­nah­me der ers­ten geis­tig be­hin­der­ten Kin­der auf St. Jo­han­nes­berg, weil Kin­der ohne De­fi­zi­te zu die­ser Zeit aus­schließ­lich in staat­li­chen Hei­men er­zo­gen wer­den durf­ten
ab 1980: Ko­ope­ra­ti­on mit re­gio­na­len Un­ter­neh­men be­ginnt
1991: Die Ca­ri­tas über­nimmt das Wohn­heim, Werk­statt und Schu­le wer­den ge­grün­det.
1998: Neu­bau von Wohn­häu­sern und der Haupt­werk­statt
2004: Eine neue Schu­le wird in Ora­ni­en­burg er­rich­tet.
2005 bis heu­te: Er­wei­te­rung und Aus­bau von Werk­statt und Zweigstellen