Werk­statt un­ter Druck

6. Mrz 2018 | Pres­se, Pres­se 2018 | 0 Kom­men­ta­re

Von Klaus D. Gro­te | Ora­ni­en­bur­ger Generalanzeiger 

Post­wurf­sen­dung der Lehnit­zer Fir­ma Ter­ra­test for­dert alle Caritas-Beschäftigten

Ora­ni­en­burg. In der Ca­ri­tas-Werk­statt am Ader­luch herrscht ge­ra­de Aus­nah­me­zu­stand: Fast alle Ab­tei­lun­gen sind da­mit be­schäf­tigt, eine Post­wurf­sen­dung aus Lehnitz zu sor­tie­ren, zu fal­ten, in Um­schlä­ge zu ste­cken und ver­sand­fer­tig zu ma­chen. Gel­be Post­kis­ten sta­peln sich im La­ger. 54 982 gro­ße Um­schlä­ge müs­sen bis Mit­te nächs­ter Wo­che fer­tig sein und ver­sen­det wer­den. In den Brie­fen be­fin­det sich Wer­bung der Lehnit­zer Fir­ma Ter­ra­test. Das Un­ter­neh­men ver­treibt Ge­rä­te zur ein­fa­chen Mes­sung der Bo­den­dich­te. Der er­mit­tel­te Wert ist wich­tig für Stra­ßen­bau­ar­bei­ten oder das Ver­le­gen von Geh­weg­plat­ten. Die Ge­rä­te kön­nen gro­ße Mess­fahrt­zeu­ge er­set­zen und sind auch an schwer zu­gäng­li­chen Ecken nutzbar.

Mach es dir selbst! Ver­dich­tung ein­fach sel­ber tes­ten“, lau­tet da­her das An­ge­bot zur Os­ter­ak­ti­on von Ter­ra­test. Be­wor­ben wird der „Ter­ra­test 4000 Stream“ von ei­ner knapp be­klei­de­ten Frau in Hot­pants, die das Mess­ge­rät mit Leich­tig­keit be­dient. Meh­re­re Sei­ten Wer­bung und In­for­ma­tio­nen wer­den an Tief­bau­un­ter­neh­men und Gar­ten- und Land­schafts­bau­fir­men in ganz Deutsch­land ver­sen­det. „Ein tol­ler Auf­trag für uns“, sagt Werk­statt­lei­ter Mar­cel Teich­m­an­ri. Die Auf­ga­ben sei­en Ide­al für die Be­schäf­tig­ten. Auch im Be­reich B.Plus, in dem Men­schen mit be­son­de­rer För­de­rung ar­bei­ten, kön­nen die un­ter­schied­li­chen Auf­ga­ben des Auf­trags gut ver­teilt wer­den. „Die Be­schäf­tig­ten freu­en sich über die Ab­wechs­lung. Das ist eine ganz tol­le Auf­ga­be mit vie­len ver­schie­de­nen Ar­beits­schrit­ten“, sagt So­zi­al­ar­bei­te­rin An­ge­li­ka Geißler.

Die auf­wen­di­gen Falt- und Steck­ar­bei­ten könn­ten von kei­ner Ma­schi­ne be­wäl­tigt wer­den. Die Ca­ri­tas-Werk­statt wür­de sich da­her über wei­te­re sol­cher Auf­trä­ge freu­en. Ter­ra­test ver­gibt zwei­mal jähr­lich Mai­ling­auf­trä­ge. An­de­re Ar­bei­ten in der Werk­statt am Ader­luch wer­den bis zur Er­le­di­gung der Post zu­rück­ge­stellt. Wich­tigs­ter Auf­trag­ge­ber ist der Ber­li­ner Schul­be­darf- und Bü­ro­ar­ti­kel­her­stel­ler Her­litz. Au­ßer­dem wer­den Bol­zen für Mö­bel her­ge­stellt. Der Be­reich Fak­tor C be­fin­det sich un­term sel­ben Dach. Fo­li­en von Ora­fol wer­den für Wer­bung zu­recht ge­schnit­ten, die zum Bei­spiel auf Schil­dern und Au­tos kle­ben. So wer­den die Fahr­zeu­ge der Ber­li­ner Ord­nungs­äm­ter mit re­flek­tie­ren­den Buch­sta­ben versehen.

Wir ha­ben auf je­den Fall noch Ka­pa­zi­tä­ten und freu­en uns über neue Auf­trä­ge“, sagt Mar­cel Teich­mann. Die Ca­ri­tas Werk­stät­ten sei­en mit Ora­fol ge­wach­sen. Über­haupt kom­men die meis­ten Auf­trä­ge aus der Re­gi­on. Die Gar­ten- und Land­schafts­bau­er sind mit den Au­ßen­an­la­gen des Ta­ke­da-An­baus be­schäf­tigt, die Ca­ri­tas-Kü­che lie­fert un­ter an­de­rem Es­sen für den Pfle­ge­dienst Gehr­mann, die Kita Leucht­turm und für die ei­ge­ne Be­leg­schaft. Am Ader­luch wer­den in ei­nem Hy­gie­ne­be­reich au­ßer­dem Glas­röhr­chen für Blut­pro­ben im Auf­trag von Ther­mo Fi­sher sor­tiert und ge­prüft. Ur­sprüng­lich war die Werk­statt im frü­he­ren Aldi-Markt für die Tei­le­pro­duk­ti­on für ei­nen Au­to­zu­lie­fe­rer be­stimmt. Doch der Auf­trag ging ver­lo­ren. Die Werk­statt mit 67 Be­schäf­tig­ten hat Platz für neue Auf­trä­ge. „Das ist ein schö­ner klei­ner Stand­ort“, sagt Mar­cel Teich­mann. Ver­gan­ge­ne Wo­che konn­te er mit Mar­ti­na Glau­ke die sieb­te Grup­pen­lei­te­rin im Team begrüßen.

Lohn

  • Hun­der­te Men­schen mit Be­hin­de­rung ar­bei­ten in den Werk­stät­ten von Ca­ri­tas (350 Plät­ze) und Le­bens­hil­fe (Nord­bahn, 400 Plät­ze). Da­für be­kom­men sie zu­sätz­lich zur Grund­si­che­rung meist 150 bis 200 Euro. Der Pa­ri­tä­ti­sche Wohl­fahrts­ver­band hat zu­letzt mehr Lohn ver­langt. Die Be­schäf­tig­ten müss­ten von ih­rem Ver­dienst le­ben können.
  • Ein Werk­statt­platz kos­tet bis zu 3000 Euro mo­nat­lich – fi­nan­ziert durch Ren­ten­ver­si­che­rung, Kran­ken­kas­sen und Land­kreis. Bei ei­ner Ent­loh­nung der Be­schäf­tig­ten wird de­ren Grund­si­che­rung ent­spre­chend gekürzt.
  • Chris­toph Lau, Ge­schäfts­füh­rer der Ora­ni­en­bur­ger Ca­ri­tas-Werk­stät­ten, sagt dazu: „Der ge­setz­li­che Auf­trag von Werk­stät­ten ist die be­ruf­li­che Teil­ha­be von Men­schen mit Be­hin­de­rung. „Die Werk­stät­ten dien­ten nicht der ge­werb­li­che Be­tä­ti­gung, son­dern den Be­schäf­tig­ten mit ih­ren An­sprü­chen auf be­ruf­li­che För­de­rung. Über eine Auf­nah­me ent­schei­den nicht die Werk­stät­ten selbst. Es gibt ei­nen An­spruch auf Auf­nah­me. Die Ei­gen­lo­gik von Werk­stät­ten kön­ne schon aus die­sem Grund kei­ne be­triebs­wirt­schaft­li­che sein, die den Prin­zi­pi­en von Ef­fi­zi­enz­stei­ge­rung und Ar­beits­kraft­ver­wer­tung ver­pflich­tet ist. „Werk­stät­ten re­du­zie­ren nicht ihre ‚Be­leg­schaft‘, weil es die Auf­trags­la­ge na­he­legt“, so Lau.
  • Des­halb wird eine Werk­statt­be­schäf­ti­gung nie un­ab­hän­gig von wei­ter­ge­hen­den So­zi­al­leis­tun­gen zu se­hen sein. Zählt man die­se hin­zu, sieht die Ein­kom­mens­si­tua­ti­on von Werk­statt­be­schäf­tig­ten an­ders aus. Werk­stät­ten sind nur als So­zi­al­leis­tung zu ver­ste­hen, als Er­gän­zung zum Ar­beits­markt – nicht aber als Teil des Ar­beits­mark­tes“, sagt Lau. Leis­tungs­an­sprü­che soll­ten ge­bün­delt wer­den. Er hal­te es für ein Är­ger­nis, dass Werk­statt­be­schäf­tig­te zum So­zi­al­amt ge­hen müss­ten, um ihre An­sprü­che gel­tend zu ma­chen. „Es soll­te or­ga­ni­sier­bar sein, dass über die Be­schäf­ti­gung, die oh­ne­hin be­reits die ge­sam­te So­zi­al­ver­si­che­rung um­fas­se, auch alle wei­ter­ge­hen­den An­sprü­che ab­ge­gol­ten wer­den-dann wür­de aus So­zi­al­leis­tun­gen ein ‚Ver­dienst‘ wer­den“, so Lau.
  • Uta Ger­ber, Ge­schäfts­füh­re­rin der Le­bens­hil­fe Ober­ha­vel-Süd, sieht das ähn­lich. Sie macht aber auch klar, dass im Sin­ne der In­klu­si­on alle Men­schen mit Be­hin­de­rung in den Ers­ten Ar­beits­markt in­te­griert wer­den müss­ten. „Das wäre die Ide­al­lö­sung.“ Letzt­lich wür­den sich Fir­men mit ih­ren Auf­trä­gen an die Werk­stät­ten von die­ser Ver­pflich­tung be­frei­en. (kd)