Ich freue mich, wenn er ge­lacht hat”

24. Okt 2013 | Pres­se, Pres­se 2013 | 0 Kom­men­ta­re

Von Frau­ke Her­weg | Mär­ki­sche All­ge­mei­ne Zeitung

So­zia­le Be­ru­fe: Diet­lind Bey­er ar­bei­tet als Hei­ler­zie­hungs­pfle­ge­rin in der Ca­ri­tas-Werk­statt St. Jo­han­nes­berg / Lan­ge So­zia­le Nacht am Freitag

Ora­ni­en­burg | Diet­lind Bey­er ist er­käl­tet. Zur Ar­beit ist sie den­noch ge­kom­men – mit ei­nem bun­ten Tuch um den Hals. Die Grup­pe von schwerst- und schwerst­mehr­fach be­hin­der­ten Frau­en und Män­nern, die Bey­er im För­der­be­reich der Ca­ri­tas-Werk­statt St. Jo­han­nes­berg be­treut, ist meist still. Bey­er re­det da­für umso mehr. “Ei­gent­lich den gan­zen Tag”, sagt sie la­chend. Sie mun­tert auf, trös­tet, er­mahnt, ist stän­dig in Aktion.

Bey­er ist Hei­ler­zie­hungs­pfle­ge­rin. “Mein Traum­be­ruf”, wie sie sagt. Die 46-Jäh­ri­ge be­treut schwerst- und schwerst­mehr­fach Be­hin­der­te, die klei­ne­re Ar­bei­ten im Werk­statt­be­trieb über­neh­men die Frau­en und Män­ner, die in der Kleinst­grup­pe Boh­rer­roh­lin­ge sor­tie­ren oder Farb­strei­fen aus ei­nem vor­ge­stanz­ten Pa­pier drü­cken, kön­nen sich nur we­nig kon­zen­trie­ren und las­sen sich leicht ab­len­ken. Bey­er muss im­mer wie­der mo­ti­vie­ren, mit­un­ter sanft die Hand führen. 

Was zählt, ist nicht die Men­ge der Boh­rer, die um Ende ei­nes Ar­beits­ta­ges, vor­sor­tiert ist. Bey­er ver­sucht Men­schen in ih­rem in­di­vi­du­el­len Kön­nen zu för­dern. Eine blin­de Frau fä­delt Per­len auf, ein jun­ger Mann sor­tiert Puz­zle­tei­le – je­der soll Din­ge ma­chen kön­nen, die ihm lie­gen und die ihn in sei­nem Selbst­wert­ge­fühl stär­ken. Im bes­ten Fall ar­bei­tet ei­ner von Bey­ers Grup­pen­teil­neh­mem spä­ter im Haupt­be­trieb der Werk­statt. Doch das ist längst nicht im­mer mög­lich. Der jun­ge Mann sor­tiert im Zeit­lu­pen­tem­po, im­mer wie­der scheint er in sich zu ver­sin­ken. Bey­er braucht ei­nen lan­gen Atem “Ich freue mich, wenn er ge­lacht hat.”

Wer Bey­er in dem bunt de­ko­rier­ten Grup­pen­raum be­ob­ach­tet, spürt. dass sie ihre Ar­beit mag. Ihre An­wei­sun­gen sind kurz und un­miss­ver­ständ­lich – lan­ge Sät­ze, das weiß sie aus Er­fah­rung, wer­den leicht über­hört. “Wir ar­bei­ten sehr nah am Men­schen”, sagt sie. “Man muss eine höhe kör­per­li­che Nähe und eine hohe emo­tio­na­le Nähe aus­hal­ten können.”

Das ist nicht im­mer ein­fach. Bey­er be­glei­tet ihre Grup­pen­mit­glie­der auch durch den Ar­beits­all­tags – zum Es­sen, auf die Toi­let­te, zu Ent­span­nungs­übun­gen. Es kann sein, dass sich ei­ner er­bricht oder auf der Toi­let­te et­was da­ne­ben­geht. “Man darf nicht zim­per­lich sein”, sagt Bey­er schlicht. Al­les eine Fra­ge der Routine.

Hei­ler­zie­hungs­pfle­ge­rin – das ist der Be­ruf, den Bey­er schon im­mer ha­ben woll­te. “Ich könn­te mir nichts an­de­res vor­stel­len”, sagt sie. Bey­ers Mut­ter war Ka­te­che­tin. Schon früh be­glei­te­te Bey­er sie in Be­hin­der­ten­hei­me und in Fe­ri­en­la­ger. Die Ora­ni­en­bur­ge­rin wür­de sich wün­schen, dass heu­ti­ge Schü­ler mehr Kon­takt mit Be­hin­der­ten ha­ben und mehr über die Ar­beit mit ih­nen wissen.

Gute Hei­ler­zie­hungs­pfle­ger zu fin­den, sei schwie­rig, sagt auch Werk­statt­lei­ter Chris­toph Lau, Ge­ra­de Män­ner feh­len. Da­bei wür­de Lau durch­aus ger­ne mal eine Stel­le mit ei­nem Mann be­set­zen. Die Ar­beit ist auch phy­sisch an­spruchs­voll. Der­zeit al­ler­dings ist das Hei­ler­zie­her­pfle­ger­team der Werk­statt rein weiblich.

Der Ta­ges­ab­lauf in der Werk­statt ist klar struk­tu­riert. “Je­den Tag die glei­che Spur”, sagt Bey­er. “Man muss sehr zu­ver­läs­sig und pünkt­lich sein.” Lang­wei­lig wird Bey­er die ver­meint­li­che Wie­der­ho­lung den­noch nie. “Je­der Tag ist ein Aben­teu­er”, sagt sie.

Ei­ner der Män­ner aus Bey­ers Grup­pe ar­bei­tet im För­der­be­reich der Werk­statt schon so lan­ge wie Bey­er – mehr als 20 Jah­re. “Man kennt sich in- und aus­wen­dig”, sagt sie la­chend. Die Grup­pe ist wie eine zwei­te Fa­mi­lie. Der Mitt­drei­ßi­ger ist längst ein Pro­fi im Werk­statt­all­tag, zieht sich al­lei­ne an, isst al­lein, Bey­er freut sich über so viel Selbst­stän­dig­keit. Ein Er­folg, fin­det sie. Manch­mal är­gert sie sich, wenn an­de­re den­ken, ihre Grup­pe wäre eine blo­ße Bas­tel­run­de. “Das hier”, sagt sie en­er­gisch, “ist Arbeit”.