“Ich freue mich, wenn er gelacht hat”
Von Frauke Herweg | Märkische Allgemeine Zeitung
Soziale Berufe: Dietlind Beyer arbeitet als Heilerziehungspflegerin in der Caritas-Werkstatt St. Johannesberg / Lange Soziale Nacht am Freitag
Oranienburg | Dietlind Beyer ist erkältet. Zur Arbeit ist sie dennoch gekommen – mit einem bunten Tuch um den Hals. Die Gruppe von schwerst- und schwerstmehrfach behinderten Frauen und Männern, die Beyer im Förderbereich der Caritas-Werkstatt St. Johannesberg betreut, ist meist still. Beyer redet dafür umso mehr. “Eigentlich den ganzen Tag”, sagt sie lachend. Sie muntert auf, tröstet, ermahnt, ist ständig in Aktion.
Beyer ist Heilerziehungspflegerin. “Mein Traumberuf”, wie sie sagt. Die 46-Jährige betreut schwerst- und schwerstmehrfach Behinderte, die kleinere Arbeiten im Werkstattbetrieb übernehmen die Frauen und Männer, die in der Kleinstgruppe Bohrerrohlinge sortieren oder Farbstreifen aus einem vorgestanzten Papier drücken, können sich nur wenig konzentrieren und lassen sich leicht ablenken. Beyer muss immer wieder motivieren, mitunter sanft die Hand führen.
Was zählt, ist nicht die Menge der Bohrer, die um Ende eines Arbeitstages, vorsortiert ist. Beyer versucht Menschen in ihrem individuellen Können zu fördern. Eine blinde Frau fädelt Perlen auf, ein junger Mann sortiert Puzzleteile – jeder soll Dinge machen können, die ihm liegen und die ihn in seinem Selbstwertgefühl stärken. Im besten Fall arbeitet einer von Beyers Gruppenteilnehmem später im Hauptbetrieb der Werkstatt. Doch das ist längst nicht immer möglich. Der junge Mann sortiert im Zeitlupentempo, immer wieder scheint er in sich zu versinken. Beyer braucht einen langen Atem “Ich freue mich, wenn er gelacht hat.”
Wer Beyer in dem bunt dekorierten Gruppenraum beobachtet, spürt. dass sie ihre Arbeit mag. Ihre Anweisungen sind kurz und unmissverständlich – lange Sätze, das weiß sie aus Erfahrung, werden leicht überhört. “Wir arbeiten sehr nah am Menschen”, sagt sie. “Man muss eine höhe körperliche Nähe und eine hohe emotionale Nähe aushalten können.”
Das ist nicht immer einfach. Beyer begleitet ihre Gruppenmitglieder auch durch den Arbeitsalltags – zum Essen, auf die Toilette, zu Entspannungsübungen. Es kann sein, dass sich einer erbricht oder auf der Toilette etwas danebengeht. “Man darf nicht zimperlich sein”, sagt Beyer schlicht. Alles eine Frage der Routine.
Heilerziehungspflegerin – das ist der Beruf, den Beyer schon immer haben wollte. “Ich könnte mir nichts anderes vorstellen”, sagt sie. Beyers Mutter war Katechetin. Schon früh begleitete Beyer sie in Behindertenheime und in Ferienlager. Die Oranienburgerin würde sich wünschen, dass heutige Schüler mehr Kontakt mit Behinderten haben und mehr über die Arbeit mit ihnen wissen.
Gute Heilerziehungspfleger zu finden, sei schwierig, sagt auch Werkstattleiter Christoph Lau, Gerade Männer fehlen. Dabei würde Lau durchaus gerne mal eine Stelle mit einem Mann besetzen. Die Arbeit ist auch physisch anspruchsvoll. Derzeit allerdings ist das Heilerzieherpflegerteam der Werkstatt rein weiblich.
Der Tagesablauf in der Werkstatt ist klar strukturiert. “Jeden Tag die gleiche Spur”, sagt Beyer. “Man muss sehr zuverlässig und pünktlich sein.” Langweilig wird Beyer die vermeintliche Wiederholung dennoch nie. “Jeder Tag ist ein Abenteuer”, sagt sie.
Einer der Männer aus Beyers Gruppe arbeitet im Förderbereich der Werkstatt schon so lange wie Beyer – mehr als 20 Jahre. “Man kennt sich in- und auswendig”, sagt sie lachend. Die Gruppe ist wie eine zweite Familie. Der Mittdreißiger ist längst ein Profi im Werkstattalltag, zieht sich alleine an, isst allein, Beyer freut sich über so viel Selbstständigkeit. Ein Erfolg, findet sie. Manchmal ärgert sie sich, wenn andere denken, ihre Gruppe wäre eine bloße Bastelrunde. “Das hier”, sagt sie energisch, “ist Arbeit”.