Lang­wei­lig wird es nie

13. Aug 2016 | Pres­se, Pres­se 2016 | 0 Kom­men­ta­re

Von Klaus D. Gro­te | Ora­ni­en­bur­ger Generalanzeiger

To­bi­as Ott­lew­ski, Diet­lind Bey­er, Ra­mo­na Sau­bohn und Cars­ten Krau­se sind Ur­ge­stei­ne der Ca­ri­tas-Werk­statt und seit An­fang an dabei

Ora­ni­en­burg | (OGA) Die An­fän­ge des Jo­han­nes­bergs rei­chen weit zu­rück. Fast 120 Jah­re alt ist die Ge­schich­te in­zwi­schen. “Frü­her war es ein Er­ho­lungs­heim für Ber­li­ner Gö­ren”, sagt Diet­lind Bey­er, die heu­te sel­ber auf dem Ge­län­de wohnt. Erst in den l950er Jah­ren wur­de der Jo­han­nes­berg Wohn­stät­te für Kin­der mit Be­hin­de­rung. Frü­her hät­ten noch viel mehr Mit­ar­bei­ter auf dem Ge­län­de ge­lebt und die Kin­der auf­wach­sen se­hen, sagt Grup­pen­lei­ter To­bi­as Ott­lew­ski. In­zwi­schen sei das et­was Be­son­de­res, zu­min­dest für Diet­lind Bey­er: “Ich woh­ne ein­fach gern hier.”

Im Be­wusst­sein der Ora­ni­en­bur­ger sei der Jo­han­nes­berg aber nicht so sehr ver­an­kert. Die ge­bür­ti­ge Thü­rin­ge­rin Diet­lind Bey­er be­dau­ert das. Für vie­le Ora­ni­en­bur­ger sei der Ort im­mer noch „das Kin­der­heim“. Da­bei pas­sie­re so viel Tol­les auf dem Ge­län­de. Die Werk­statt habe ei­nen ent­schei­den­den Wan­del ge­bracht. Die Be­hin­der­ten hät­ten durch die Ar­beit eine Struk­tur be­kom­men und vor al­lem könn­ten sie sich über die Ar­beit de­fi­nie­ren. “Sie wol­len nicht nur bas­teln”, sagt die Hei­ler­zie­hungs­pfle­ge­rin. „Ar­beit ist für je­den wich­tig, egal ob stark oder we­nig be­hin­dert. Je­der will aus sei­nem Le­ben et­was ma­chen.“ Da­mit das funk­tio­niert, müs­se die Ar­beit an den Men­schen an­ge­passt wer­den. Die Be­schäf­tig­te Ra­mo­na Sau­bohn (44) er­in­nert sich, wie sie am An­fang noch Holz­puz­zle ge­baut hat. Heu­te ist die Wä­sche­rei, in der sie ar­bei­tet, ein pro­fes­sio­nel­ler Dienst­leis­ter. “Ich bin abends fix und fer­tig, ich brau­che kein Fern­se­hen”, sagt sie. Die Ar­beit sei aber auch bes­ser geworden.

Der Ora­ni­en­bur­ger Fo­li­en­her­stel­ler Ora­fol war der ers­te gro­ße Auf­trag­ge­ber für die Werk­statt. Bis heu­te lässt Ora­fol am Jo­han­nes­berg pro­du­zie­ren. “Wenn die Fir­men mer­ken, dass es funk­tio­niert, kom­men sie wie­der”, sagt Grup­pen­lei­ter To­bi­as Ottlewski.

Cars­ten Krau­se (43) hat viel ge­lernt, seit er vor elf Jah­ren in der Werk­statt be­gann. Im­mer wie­der hat­te er Au­ßen­ar­beits­plät­ze, un­ter an­de­rem bei Ta­ke­da. im Fahr­rad­ge­schäft von Ul­rich He­be­streit und im Tier­park Ger­men­dorf. Zur­zeit fährt er je­den Tag zum Kar­to­na­gen­her­stel­ler Klö­de in Hennigsdorf.

Der Wan­del ge­hö­re in der Ca­ri­tas-Werk­statt ein­fach dazu, sagt To­bi­as Ott­lew­ski. Zehn­mal schon habe er ge­wech­selt, ist jetzt am neu­en Stand­ort am Ader­luch tä­tig. “Man macht im­mer et­was Neu­es”, sagt der 5O-Jäh­ri­ge, der auch Mit­glied im Werk­statt­rat und Hy­gie­ne­be­auf­trag­ter ist. Wel­che hoch­pro­fes­sio­nel­le Ar­beit in den Werk­stät­ten ge­leis­tet wer­de, sei au­ßer­halb viel zu we­nig be­kannt. “Wer das hier zum ers­ten Mal ge­se­hen hat, ist er­staunt”, sagt Diet­lind Bey­er. Des­halb wün­sche sie sich mehr Aus­tausch, zum Bei­spiel durch Schul­be­su­che in der Werkstatt. 

Wenn die viel Kol­le­gen, die die An­fän­ge zu­sam­men mit­er­lebt ha­ben, auf die ver­gan­ge­nen 25 Jah­re zu­rück­schau­en, er­in­nern sie sich auch viel an die ge­mein­sam ver­brach­te Frei­zeit, an Ur­laub in Bad Saa­row, Os­ter­früh­stück und Weih­nachts­fei­ern, den Chor und die Tanz­grup­pe, an die Werk­statt-Band, an Fuß­ball­spie­le, ans Dra­chen­boot­ren­nen und an die Teil­nah­me am Ora­ni­en­bur­ger Fest­um­zug. Sie den­ken an die vie­len Ge­burts­tags­fei­ern, aber auch dar­an, dass vie­le Kol­le­gen schon ge­stor­ben sind. “Das ist sehr trau­rig”, sagt Ra­mo­na Sau­bohn. Aber Freud und Leid lä­gen am Jo­han­nes­berg oft nah bei­ein­an­der, meint Diet­lind Bey­er. Sie hängt sehr an die­sem Ort, der ihr Hei­mat und Ar­beits­platz ge­wor­den ist “Hier muss man im­mer mit dem Un­ge­wöhn­li­chen rech­nen. Je­der Tag ist an­ders, lang­wei­lig wird es nie.” Aber ab und zu brau­che sie eine Pau­se und Ruhe. “Des­halb fah­re ich Ur­laub auf die ln­sel Pell­wonn”, sagt die 47-Jährige.

Eine durch den ge­sell­schaft­li­chen Wan­del be­ding­te Ver­än­de­rung macht Diet­lind Bey­er auch in der Ca­ri­tas-Werk­statt aus. Men­schen mit klas­si­scher, geis­ti­ger Be­hin­de­rung wie Men­schen mit dem Gen­de­fekt Tri­so­mie 21 sei­en we­ni­ger ge­wor­den. Da­für habe die Zahl so­zi­al­be­ein­träch­tig­ter Men­schen zu­ge­nom­men. Im För­der­be­reich wach­se da­her der Be­darf an För­de­rung und Pfle­ge. Des­halb sei der Be­reich “Fak­tor C” für Men­schen mit psy­chi­schen Er­kran­kun­gen wich­tig. Doch auch, was dort ge­leis­tet wird, sei au­ßer­halb oft nicht be­kannt. sagt Diet­lind Bey­er. Manch­mal sei die Ar­beit auch ein­fach an­stren­gend, gibt sie un­um­wun­den zu. Dann er­hof­fe sie sich Ent­las­tung, Denn der Be­ruf sei kom­plex. “Wir küm­mern uns um Pfle­ge, För­de­rung und Ar­beit.” Da wün­sche sie sich manch­mal mehr An­er­ken­nung. Die bes­te Be­stä­ti­gung be­kom­me die Ca­ri­tas-Werk­statt aber durch die aus­ge­lie­fer­ten Wa­ren. “un­se­re Eigenprodukte.”