Langweilig wird es nie
Tobias Ottlewski, Dietlind Beyer, Ramona Saubohn und Carsten Krause sind Urgesteine der Caritas-Werkstatt und seit Anfang an dabei
Oranienburg | (OGA) Die Anfänge des Johannesbergs reichen weit zurück. Fast 120 Jahre alt ist die Geschichte inzwischen. “Früher war es ein Erholungsheim für Berliner Gören”, sagt Dietlind Beyer, die heute selber auf dem Gelände wohnt. Erst in den l950er Jahren wurde der Johannesberg Wohnstätte für Kinder mit Behinderung. Früher hätten noch viel mehr Mitarbeiter auf dem Gelände gelebt und die Kinder aufwachsen sehen, sagt Gruppenleiter Tobias Ottlewski. Inzwischen sei das etwas Besonderes, zumindest für Dietlind Beyer: “Ich wohne einfach gern hier.”
Im Bewusstsein der Oranienburger sei der Johannesberg aber nicht so sehr verankert. Die gebürtige Thüringerin Dietlind Beyer bedauert das. Für viele Oranienburger sei der Ort immer noch „das Kinderheim“. Dabei passiere so viel Tolles auf dem Gelände. Die Werkstatt habe einen entscheidenden Wandel gebracht. Die Behinderten hätten durch die Arbeit eine Struktur bekommen und vor allem könnten sie sich über die Arbeit definieren. “Sie wollen nicht nur basteln”, sagt die Heilerziehungspflegerin. „Arbeit ist für jeden wichtig, egal ob stark oder wenig behindert. Jeder will aus seinem Leben etwas machen.“ Damit das funktioniert, müsse die Arbeit an den Menschen angepasst werden. Die Beschäftigte Ramona Saubohn (44) erinnert sich, wie sie am Anfang noch Holzpuzzle gebaut hat. Heute ist die Wäscherei, in der sie arbeitet, ein professioneller Dienstleister. “Ich bin abends fix und fertig, ich brauche kein Fernsehen”, sagt sie. Die Arbeit sei aber auch besser geworden.
Der Oranienburger Folienhersteller Orafol war der erste große Auftraggeber für die Werkstatt. Bis heute lässt Orafol am Johannesberg produzieren. “Wenn die Firmen merken, dass es funktioniert, kommen sie wieder”, sagt Gruppenleiter Tobias Ottlewski.
Carsten Krause (43) hat viel gelernt, seit er vor elf Jahren in der Werkstatt begann. Immer wieder hatte er Außenarbeitsplätze, unter anderem bei Takeda. im Fahrradgeschäft von Ulrich Hebestreit und im Tierpark Germendorf. Zurzeit fährt er jeden Tag zum Kartonagenhersteller Klöde in Hennigsdorf.
Der Wandel gehöre in der Caritas-Werkstatt einfach dazu, sagt Tobias Ottlewski. Zehnmal schon habe er gewechselt, ist jetzt am neuen Standort am Aderluch tätig. “Man macht immer etwas Neues”, sagt der 5O-Jährige, der auch Mitglied im Werkstattrat und Hygienebeauftragter ist. Welche hochprofessionelle Arbeit in den Werkstätten geleistet werde, sei außerhalb viel zu wenig bekannt. “Wer das hier zum ersten Mal gesehen hat, ist erstaunt”, sagt Dietlind Beyer. Deshalb wünsche sie sich mehr Austausch, zum Beispiel durch Schulbesuche in der Werkstatt.
Wenn die viel Kollegen, die die Anfänge zusammen miterlebt haben, auf die vergangenen 25 Jahre zurückschauen, erinnern sie sich auch viel an die gemeinsam verbrachte Freizeit, an Urlaub in Bad Saarow, Osterfrühstück und Weihnachtsfeiern, den Chor und die Tanzgruppe, an die Werkstatt-Band, an Fußballspiele, ans Drachenbootrennen und an die Teilnahme am Oranienburger Festumzug. Sie denken an die vielen Geburtstagsfeiern, aber auch daran, dass viele Kollegen schon gestorben sind. “Das ist sehr traurig”, sagt Ramona Saubohn. Aber Freud und Leid lägen am Johannesberg oft nah beieinander, meint Dietlind Beyer. Sie hängt sehr an diesem Ort, der ihr Heimat und Arbeitsplatz geworden ist “Hier muss man immer mit dem Ungewöhnlichen rechnen. Jeder Tag ist anders, langweilig wird es nie.” Aber ab und zu brauche sie eine Pause und Ruhe. “Deshalb fahre ich Urlaub auf die lnsel Pellwonn”, sagt die 47-Jährige.
Eine durch den gesellschaftlichen Wandel bedingte Veränderung macht Dietlind Beyer auch in der Caritas-Werkstatt aus. Menschen mit klassischer, geistiger Behinderung wie Menschen mit dem Gendefekt Trisomie 21 seien weniger geworden. Dafür habe die Zahl sozialbeeinträchtigter Menschen zugenommen. Im Förderbereich wachse daher der Bedarf an Förderung und Pflege. Deshalb sei der Bereich “Faktor C” für Menschen mit psychischen Erkrankungen wichtig. Doch auch, was dort geleistet wird, sei außerhalb oft nicht bekannt. sagt Dietlind Beyer. Manchmal sei die Arbeit auch einfach anstrengend, gibt sie unumwunden zu. Dann erhoffe sie sich Entlastung, Denn der Beruf sei komplex. “Wir kümmern uns um Pflege, Förderung und Arbeit.” Da wünsche sie sich manchmal mehr Anerkennung. Die beste Bestätigung bekomme die Caritas-Werkstatt aber durch die ausgelieferten Waren. “unsere Eigenprodukte.”