Viel­fä­lig und inspirierend

13. Aug 2016 | Pres­se, Pres­se 2016 | 0 Kom­men­ta­re

Von Klaus D. Gro­te | Ora­ni­en­bur­ger Generalanzeiger

Drei Pro­duk­ti­ons­lei­ter über die Krea­ti­vi­tät an den Standorten

Die Ca­ri­tas-Werk­statt St.Johannesberg in Ora­ni­en­burg­fei­ert 2016 ihr 25-jäh­ri­ges Be­stehen. Au­ßer­dem wur­de am Ader­luch ein drit­ter Pro­duk­ti­ons­stand­ort er­öff­net. Wei­ter sol­len die Werk­stät­ten nach An­ga­ben von Ge­schäfts­füh­rer Chris­toph Lau zu­nächst nicht wach­sen. Zum Ju­bi­lä­um sprach Klaus D. Gro­te: mit den Pro­duk­ti­ons­lei­tern der drei Werk­statt­stand­or­te, An­dré Ker­kow, Mar­cel Teich­mann und Sö­ren Neubert.

Den Job in ei­ner Be­hin­der­ten­Werk­statt be­kommt man nicht zu­fäl­lig. Wie wird man Pro­duk­ti­ons­lei­te­rin der Caritas-Werkstatt?
Ker­kow: Die meis­ten hier sind Quer­ein­stei­ger und ha­ben vor­her wo­an­ders ei­nen Be­ruf ge­lernt. Ich war Werk­zeug­ma­cher. Beim Wech­sel in die Ca­ri­tas-Werk­statt hat­te ich zwei Am­bi­tio­nen: Die Wohn­ort­nä­he spiel­te schon auch eine Rol­le. Aber vor al­lem der Wunsch, mich so­zi­al zu en­ga­gie­ren und mit Men­schen zu ar­bei­ten. Durch die be­hin­der­te Tan­te mei­ner Frau hat­te ich be­reits frü­he ei­nen be­son­de­ren Be­zug zu Men­schen mit Be­hin­de­rung ent­wi­ckelt und den Hil­fe­be­darf er­kannt. Ich habe um­ge­dacht. Ich hat­te im­mer den An­spruch, dass die Leu­te hier nicht als Bitt­stel­ler da­ste­hen. Trotz­dem brau­chen sie För­de­rung. Und ich habe Hoch­ach­tung vor mei­nen Kol­le­gen, die hier im För­der­be­reich ar­bei­ten und den höchs­ten Pfle­ge­auf­wand ha­ben. Und vor den Grup­pen­lei­tern im Be­rufs­bil­dungs­be­reich, die “die jun­gen Wil­den”, die von der För­der­schu­le kom­men, aufs Le­ben vor­be­rei­ten. Vie­len in der Be­völ­ke­rung sind die Men­schen, die hier ar­bei­ten gar nicht be­kannt. In der DDR war das et­was an­ders, da gab es in je­dem Be­trieb auch Be­hin­der­te, die in­te­griert wa­ren. Be­hin­der­te soll­ten in der Ge­sell­schaft aber nicht au­ßen vor blei­ben son­dern mit­ten drin sein. So ähn­lich muss es jetzt auch mit den Flücht­lin­gen sein.
Neu­bert: lch kann­te schon die Ca­ri­tas-Werk­statt in Ber­lin. Die ist mehr als dop­pelt so alt und sehr ein­ge­fah­ren. Hier be­we­gen wir uns schnel­ler. Und ich er­le­be die Werk­statt als sehr bunt, das be­trifft nicht nur die Far­ben im Ge­bäu­de und Im Auf­tritt, son­dern vor­al­lem die Men­schen hier und die Viel­falt der Mög­lich­kei­ten. Als ich hier­her kam, woll­te ich et­was Neu­es ma­chen, et­was Pro­duk­ti­ves, des­sen Ba­sis der Mensch ist. Es geht da­bei nicht ums Geld­ver­die­nen. Da be­kommt man in an­de­ren Jobs si­cher­lich mehr. Hier kommt man mit der Hälf­te des Gel­des we­sent­lich wei­ter. Ich füh­le mich gut aufgehoben.
Teich­mann: Ich habe, auch durch mei­ne kirch­lich ge­präg­te Er­zie­hung und den Kriegs­er­satz­dienst schnell fest­ge­stellt, dass es noch ei­nen Be­reich ne­ben der frei­en Wirt­schaft und mei­nem bei VW er­lern­ten Be­ruf gibt. Die Ca­ri­tas-Werk­statt habe ich als viel­fäl­tig und in­spi­rie­rend ken­nen­ge­lernt. Je­der hier hat ei­nen an­de­ren Hin­ter­grund. So eine “Ar­ten­viel­falt” gibt es an­ders­wo kaum. Ich kom­me ger­ne und mit freu­de zur Ar­beit. Es macht Spaß hier.

Was zeich­net denn die­se “Ar­ten­viel­falt” aus?
Teich­mann: Die Viel­falt führt zu un­ter­schied­lichs­ten Her­an­ge­hens­wei­sen. Der eine ist Bä­cker, ei­ner Elek­tri­ker und der An­de­re hat Heil­päd­ago­gik ge­lernt. Je­der hat ei­nen an­de­ren Blick­win­kel und bringt sich an­ders ein, aber alle zie­hen an ei­nem Strang. Des­halb gibt es auch im­mer eine Lö­sung, die Kuh vom Eis zubekommen.
Ker­kow: Wo hat man denn die Mög­lich­keit, in eine Wä­sche­rei zu schau­en, in eine Kü­che, in eine Holz­werk­statt, in den pfle­ge­ri­schen Be­reich und in eine Wer­be­mit­tel­werk­statt, das al­les an ei­nem Or tund je­den Tag? Gleich­zei­tig­be­kom­men wir Ein­bli­cke in gro­ße Un­ter­neh­men, zum Bei­spiel Ora­fol und Her­litz, die wir be­lie­fern. Es ent­ste­hen auch vie­le Kon­tak­te. Das hat man in ei­nem nor­ma­len Be­trieb so nicht.
Neu­bert: Wir ha­ben ei­nen ge­wal­ti­gen Pool aus Fach­kom­pe­ten­zen. Dar­aus er­ge­ben sich In­ter­es­san­te Lö­sun­gen. ln an­de­ren Fir­men muss so­et­was als Be­ra­tung teu­er ein­ge­kauft werden.

Was hat sich denn in den 25 Jah­ren seit der Grün­dung der Werk­statt verändert?
Teich­mann: Werk­statt ist nicht mehr Be­sen­bin­den und Töp­fern, Werk­statt ist et­was ganz an­de­res heu­te. Wenn je­mand ein Ca­te­ring bestellt,und noch ei­nen Gärt­ner sucht kann ich sa­gen, “das ma­chen wir auch”. Wir pflas­tern auch die Wege und wir nä­hen auch. Die Werk­statt kann heu­te noch viel mehr.

Aber was un­ter­schei­det die Werk­statt von Be­trie­ben der frei­en Wirtschaft?
Ker­kow: Es gibt si­cher­lich Be­rei­che mit sehr ho­hen Qua­li­täts­an­sprü­chen, zum Bei­spiel in der Me­di­zin­tech­nik, die wir nicht er­fül­len kön­nen. Da gibt es Spe­zia­lis­ten. Aber wir sind mitt­ler­wei­le schon sehr gute Dienst­leis­ter. Und wir ho­len uns auch Rat und Tat von Ex­ter­nen, zum Bei­spiel für Spe­zi­al­dru­cke. Wenn wir et­was gar­nicht kön­nen, be­kommt der Kun­de eine nett ver­pack­te Ab­sa­ge. Aber das kommt in den sel­tens­ten Fäl­len vor. Al­les Mög­li­che mög­lich zu ma­chen – der Spruch passt schon ganz gut zu uns.
Neu­bert: Bei uns gibt es na­tür­lich im Ver­gleich zur frei­en Wirt­schaft mehr Man­power als Ma­schi­nen. Was bei uns acht Leu­te ma­chen, macht wo­an­ders Ei­ner, und den Rest macht die Ma­schi­ne, aber mit Man­power kön­nen wir auch et­was rei­ßen, was wo­an­ders nicht mög­lich ist. Wir brau­chen Ar­beit, die wir in ein­zel­ne Ar­beis­schrit­te zer­le­gen und gut an vie­le Be­schäf­tig­te ver­tei­len kann. Trotz­dem müs­sen wir die Wei­er­bil­dung aus­wei­ten und auch das be­triebs­wirt­schaft­li­che Know-how verbessern.Wir ha­ben aber ein gu­tes Fort­bil­dungs­pro­gramm, na­tür­lich hämgt auch im­mer viel von der Ei­gen­in­itia­ti­ve ab.
Teich­mann: Von ho­hen Stück­zah­len aus­ge­nom­men ist die Wer­be­tech­nik, die Uni­ka­te macht. Wenn am Alex­an­der­platz um­ge­baut wird, ist das 15 Qua­drat­me­ter gro­ße Bau­schild von uns. Und wenn ein Pfle­ge­dienst sei­ne 200 Fahreu­ge be­schrif­ten lässt, kom­men die Schil­der von uns. Wir ha­ben auch ein von Frank Zan­der ge­spon­ser­tes Fahr­zeug der Käl­te­hil­fe beschriftet.

Mit der Er­öff­nung des neu­en Stand­orts am Ader­luch gibt es seit 1. Fe­bru­ar drei Pro­duk­ti­ons­lei­ter für drei Stand­or­te. Was ist da­durch anders?
Ker­kow: Zu­nächst mal hab ich mich schwe­ren Her­zens vom Hei­de­ring ge­trennt. Die Werk­statt dort habe ich mit auf­ge­baut und sie hat sich gut ent­wi­ckelt. Der Stand­ort Hei­de­ring hat sei­nenei­ge­nen Charme – mit al­lem Drum und Dran. Wir woll­ten aber Le­thar­gie und Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten vor­beu­gen. Und der Haupt­stand­ort ist mir nicht fremd. Jetzt hab ich 240 Be­schäf­tig­te, vor­her wa­ren es 170. Im Mo­ment wer­de ich von Ar­beit erschlagen.
Teich­mann: Ge­nau, es ging auch dar­um, ge­wohn­te Kon­stel­la­tio­nen auf­zu­bre­chen und neue Rol­len zu fin­den und da­bei Res­sour­cen frei­zu­set­zen. Jetzt kann man se­hen, was aus den Leu­ten noch an­de­res raus­zu­ho­len ist.

Was ist denn aus Ih­nen noch rauszuholen?
Teich­mann: Zu­letzt hat­ten wir mit Bau und Um­zug zu­tun. Viel­leicht kann ich die Fra­ge nach ei­nem Jahr be­ant­wor­ten, wenn sich al­les ein­ge­spielt hat. Aber ich bin fro­hen Mutes.

Wie er­klä­ren Sie den Be­schäf­tig­ten die Veränderung?
Neu­bert: Ver­än­de­run­gist für Vie­le ein ge­fürch­te­tes The­ma, ge­ra­de wenn man ne­ga­ti­ve Er­fah­rung mit Ver­än­de­rung ge­macht hat. Aber wir wol­len zei­gen, dass Ver­än­de­rung auch an­ge­nehm sein kann – und das Gan­ze mit ei­ner Ge­schwin­dig­keit, bei der je­der mit­hal­ten kann. Ich per­sön­lich er­hof­fe mir ei­ni­ge Frei­räu­me für Krea­ti­vi­tät und für Ge­sprä­che mit den Leu­ten in der Werk­statt. Wir müs­sen schau­en, wie sich das Haus und die Ar­bei­ten ewi­ckeln sollen.
Ker­kow: Ver­än­de­rung soll ja statt fin­den. Wir woll­ten neu­en Schwung in die Sa­che brin­gen. Sonst hät­te es die­se neue Kon­stel­la­ti­on mit uns drei Pro­duk­ti­ons­lei­tern nicht ge­ge­ben. Wir ver­spre­chen uns neue lm­pul­se Das Mit­ein­an­der soll wei­ter ge­stärkt wer­den. Und je­der von uns Drei­en hat da­bei ei­nen an­de­ren Fo­kus. Na­tür­lich neh­men wir Rück­sicht auf die Un­ter­schie­de der Leu­te. Die Be­schäf­tig­ten bei Fak­tor C sind da zum Bei­spiel viel sen­si­bler. Wir wol­len das Gute über­neh­men und ver­su­chen. mit un­se­rer ei­ge­nen In­spi­ra­ti­on Ar­beit zu ei­nem noch bes­se­ren Er­geb­nis zu führen.
Neu­bert: Wir müs­sen das sen­si­bel an­pa­cken. Für vie­le Be­schäf­tig­te, die kei­ne Fa­mi­lie ha­ben und für die wir auch Be­zugs­per­son sind, ist die Werk­statt auch das Wohn­zim­mer. Wenn man das weiß und ak­zep­tiert, macht es Spaß, hier zu ar­bei­ten. Ich habe noch kei­nen Be­trieb er­lebt, in­dem man so lie­be­voll emp­fan­gen wird, egal von wel­cher Seite.

Steck­brie­fe

And­re Ker­kow: 50 Jah­re, Ora­ni­en­bur­ger, ge­lern­ter Werk­zeug­ma­cher, seit 2003 in der Ca­ri­tas-Werk­statt, 2006 Be­reichs­lei­ter, 2009 Pro­duk­ti­ons­lei­ter in der Werk­statt am Hei­de­ring, seit März Pro­duk­ti­ons­lei­ter Haupt­werk­statt Ber­li­ner Stra­ße, hat in der Aus­bil­dung noch ge­lernt, Werk­zeu­ge mit der Hand herzustellen.
Mar­cel Teich­mann: 37 Jah­re, Ora­ni­en­bur­ger, seit 2009 Grup­pen­lei­ter am Hei­de­ring und seit 2010 Ar­beits­vor­be­rei­ter. Seit März Stand­ort­lei­ter und Pro­duk­ti­ons­lei­ter am neu­en Stand­ort am Ader­luch und ver­ant­wort­lich für 60 Be­schäf­tig­te. War schon als Zivi in der Ca­ri­tas-Werk­statt. Spielt Fuß­ball beim TuS Sach­sen­hau­sen und trai­niert die werks­ei­ge­ne Fuß­ball­mann­schaft, hat es mit ihr zwei­mal zur Meis­ter­schaft in der Lan­des­li­ga der Be­hin­der­ten­mann­schaf­ten gebracht.
Sö­ren Neu­bert: 37 Jah­re, Ber­li­ner, Pro­duk­ti­ons­lei­ter am Hei­de­ring, hat Kom­mu­ni­ka­ti­ons­elek­tro­ni­ker ge­lernt, war im Ver­trieb und Mar­ke­ting tä­tig und hat Soft­ware ver­trie­ben. Kam durch eh­ren­amt­li­che Tä­tig­keit im Pan­kower Hos­piz zur Ca­ri­tas. War zu­nächst Grup­pen­lei­ter in der Werbemittelwerkstatt.