Vielfälig und inspirierend
Drei Produktionsleiter über die Kreativität an den Standorten
Die Caritas-Werkstatt St.Johannesberg in Oranienburgfeiert 2016 ihr 25-jähriges Bestehen. Außerdem wurde am Aderluch ein dritter Produktionsstandort eröffnet. Weiter sollen die Werkstätten nach Angaben von Geschäftsführer Christoph Lau zunächst nicht wachsen. Zum Jubiläum sprach Klaus D. Grote: mit den Produktionsleitern der drei Werkstattstandorte, André Kerkow, Marcel Teichmann und Sören Neubert.
Den Job in einer BehindertenWerkstatt bekommt man nicht zufällig. Wie wird man Produktionsleiterin der Caritas-Werkstatt?
Kerkow: Die meisten hier sind Quereinsteiger und haben vorher woanders einen Beruf gelernt. Ich war Werkzeugmacher. Beim Wechsel in die Caritas-Werkstatt hatte ich zwei Ambitionen: Die Wohnortnähe spielte schon auch eine Rolle. Aber vor allem der Wunsch, mich sozial zu engagieren und mit Menschen zu arbeiten. Durch die behinderte Tante meiner Frau hatte ich bereits frühe einen besonderen Bezug zu Menschen mit Behinderung entwickelt und den Hilfebedarf erkannt. Ich habe umgedacht. Ich hatte immer den Anspruch, dass die Leute hier nicht als Bittsteller dastehen. Trotzdem brauchen sie Förderung. Und ich habe Hochachtung vor meinen Kollegen, die hier im Förderbereich arbeiten und den höchsten Pflegeaufwand haben. Und vor den Gruppenleitern im Berufsbildungsbereich, die “die jungen Wilden”, die von der Förderschule kommen, aufs Leben vorbereiten. Vielen in der Bevölkerung sind die Menschen, die hier arbeiten gar nicht bekannt. In der DDR war das etwas anders, da gab es in jedem Betrieb auch Behinderte, die integriert waren. Behinderte sollten in der Gesellschaft aber nicht außen vor bleiben sondern mitten drin sein. So ähnlich muss es jetzt auch mit den Flüchtlingen sein.
Neubert: lch kannte schon die Caritas-Werkstatt in Berlin. Die ist mehr als doppelt so alt und sehr eingefahren. Hier bewegen wir uns schneller. Und ich erlebe die Werkstatt als sehr bunt, das betrifft nicht nur die Farben im Gebäude und Im Auftritt, sondern vorallem die Menschen hier und die Vielfalt der Möglichkeiten. Als ich hierher kam, wollte ich etwas Neues machen, etwas Produktives, dessen Basis der Mensch ist. Es geht dabei nicht ums Geldverdienen. Da bekommt man in anderen Jobs sicherlich mehr. Hier kommt man mit der Hälfte des Geldes wesentlich weiter. Ich fühle mich gut aufgehoben.
Teichmann: Ich habe, auch durch meine kirchlich geprägte Erziehung und den Kriegsersatzdienst schnell festgestellt, dass es noch einen Bereich neben der freien Wirtschaft und meinem bei VW erlernten Beruf gibt. Die Caritas-Werkstatt habe ich als vielfältig und inspirierend kennengelernt. Jeder hier hat einen anderen Hintergrund. So eine “Artenvielfalt” gibt es anderswo kaum. Ich komme gerne und mit freude zur Arbeit. Es macht Spaß hier.
Was zeichnet denn diese “Artenvielfalt” aus?
Teichmann: Die Vielfalt führt zu unterschiedlichsten Herangehensweisen. Der eine ist Bäcker, einer Elektriker und der Andere hat Heilpädagogik gelernt. Jeder hat einen anderen Blickwinkel und bringt sich anders ein, aber alle ziehen an einem Strang. Deshalb gibt es auch immer eine Lösung, die Kuh vom Eis zubekommen.
Kerkow: Wo hat man denn die Möglichkeit, in eine Wäscherei zu schauen, in eine Küche, in eine Holzwerkstatt, in den pflegerischen Bereich und in eine Werbemittelwerkstatt, das alles an einem Or tund jeden Tag? Gleichzeitigbekommen wir Einblicke in große Unternehmen, zum Beispiel Orafol und Herlitz, die wir beliefern. Es entstehen auch viele Kontakte. Das hat man in einem normalen Betrieb so nicht.
Neubert: Wir haben einen gewaltigen Pool aus Fachkompetenzen. Daraus ergeben sich Interessante Lösungen. ln anderen Firmen muss soetwas als Beratung teuer eingekauft werden.
Was hat sich denn in den 25 Jahren seit der Gründung der Werkstatt verändert?
Teichmann: Werkstatt ist nicht mehr Besenbinden und Töpfern, Werkstatt ist etwas ganz anderes heute. Wenn jemand ein Catering bestellt,und noch einen Gärtner sucht kann ich sagen, “das machen wir auch”. Wir pflastern auch die Wege und wir nähen auch. Die Werkstatt kann heute noch viel mehr.
Aber was unterscheidet die Werkstatt von Betrieben der freien Wirtschaft?
Kerkow: Es gibt sicherlich Bereiche mit sehr hohen Qualitätsansprüchen, zum Beispiel in der Medizintechnik, die wir nicht erfüllen können. Da gibt es Spezialisten. Aber wir sind mittlerweile schon sehr gute Dienstleister. Und wir holen uns auch Rat und Tat von Externen, zum Beispiel für Spezialdrucke. Wenn wir etwas garnicht können, bekommt der Kunde eine nett verpackte Absage. Aber das kommt in den seltensten Fällen vor. Alles Mögliche möglich zu machen – der Spruch passt schon ganz gut zu uns.
Neubert: Bei uns gibt es natürlich im Vergleich zur freien Wirtschaft mehr Manpower als Maschinen. Was bei uns acht Leute machen, macht woanders Einer, und den Rest macht die Maschine, aber mit Manpower können wir auch etwas reißen, was woanders nicht möglich ist. Wir brauchen Arbeit, die wir in einzelne Arbeisschritte zerlegen und gut an viele Beschäftigte verteilen kann. Trotzdem müssen wir die Weierbildung ausweiten und auch das betriebswirtschaftliche Know-how verbessern.Wir haben aber ein gutes Fortbildungsprogramm, natürlich hämgt auch immer viel von der Eigeninitiative ab.
Teichmann: Von hohen Stückzahlen ausgenommen ist die Werbetechnik, die Unikate macht. Wenn am Alexanderplatz umgebaut wird, ist das 15 Quadratmeter große Bauschild von uns. Und wenn ein Pflegedienst seine 200 Fahreuge beschriften lässt, kommen die Schilder von uns. Wir haben auch ein von Frank Zander gesponsertes Fahrzeug der Kältehilfe beschriftet.
Mit der Eröffnung des neuen Standorts am Aderluch gibt es seit 1. Februar drei Produktionsleiter für drei Standorte. Was ist dadurch anders?
Kerkow: Zunächst mal hab ich mich schweren Herzens vom Heidering getrennt. Die Werkstatt dort habe ich mit aufgebaut und sie hat sich gut entwickelt. Der Standort Heidering hat seineneigenen Charme – mit allem Drum und Dran. Wir wollten aber Lethargie und Selbstverständlichkeiten vorbeugen. Und der Hauptstandort ist mir nicht fremd. Jetzt hab ich 240 Beschäftigte, vorher waren es 170. Im Moment werde ich von Arbeit erschlagen.
Teichmann: Genau, es ging auch darum, gewohnte Konstellationen aufzubrechen und neue Rollen zu finden und dabei Ressourcen freizusetzen. Jetzt kann man sehen, was aus den Leuten noch anderes rauszuholen ist.
Was ist denn aus Ihnen noch rauszuholen?
Teichmann: Zuletzt hatten wir mit Bau und Umzug zutun. Vielleicht kann ich die Frage nach einem Jahr beantworten, wenn sich alles eingespielt hat. Aber ich bin frohen Mutes.
Wie erklären Sie den Beschäftigten die Veränderung?
Neubert: Veränderungist für Viele ein gefürchtetes Thema, gerade wenn man negative Erfahrung mit Veränderung gemacht hat. Aber wir wollen zeigen, dass Veränderung auch angenehm sein kann – und das Ganze mit einer Geschwindigkeit, bei der jeder mithalten kann. Ich persönlich erhoffe mir einige Freiräume für Kreativität und für Gespräche mit den Leuten in der Werkstatt. Wir müssen schauen, wie sich das Haus und die Arbeiten ewickeln sollen.
Kerkow: Veränderung soll ja statt finden. Wir wollten neuen Schwung in die Sache bringen. Sonst hätte es diese neue Konstellation mit uns drei Produktionsleitern nicht gegeben. Wir versprechen uns neue lmpulse Das Miteinander soll weiter gestärkt werden. Und jeder von uns Dreien hat dabei einen anderen Fokus. Natürlich nehmen wir Rücksicht auf die Unterschiede der Leute. Die Beschäftigten bei Faktor C sind da zum Beispiel viel sensibler. Wir wollen das Gute übernehmen und versuchen. mit unserer eigenen Inspiration Arbeit zu einem noch besseren Ergebnis zu führen.
Neubert: Wir müssen das sensibel anpacken. Für viele Beschäftigte, die keine Familie haben und für die wir auch Bezugsperson sind, ist die Werkstatt auch das Wohnzimmer. Wenn man das weiß und akzeptiert, macht es Spaß, hier zu arbeiten. Ich habe noch keinen Betrieb erlebt, indem man so liebevoll empfangen wird, egal von welcher Seite.
Steckbriefe
Andre Kerkow: 50 Jahre, Oranienburger, gelernter Werkzeugmacher, seit 2003 in der Caritas-Werkstatt, 2006 Bereichsleiter, 2009 Produktionsleiter in der Werkstatt am Heidering, seit März Produktionsleiter Hauptwerkstatt Berliner Straße, hat in der Ausbildung noch gelernt, Werkzeuge mit der Hand herzustellen.
Marcel Teichmann: 37 Jahre, Oranienburger, seit 2009 Gruppenleiter am Heidering und seit 2010 Arbeitsvorbereiter. Seit März Standortleiter und Produktionsleiter am neuen Standort am Aderluch und verantwortlich für 60 Beschäftigte. War schon als Zivi in der Caritas-Werkstatt. Spielt Fußball beim TuS Sachsenhausen und trainiert die werkseigene Fußballmannschaft, hat es mit ihr zweimal zur Meisterschaft in der Landesliga der Behindertenmannschaften gebracht.
Sören Neubert: 37 Jahre, Berliner, Produktionsleiter am Heidering, hat Kommunikationselektroniker gelernt, war im Vertrieb und Marketing tätig und hat Software vertrieben. Kam durch ehrenamtliche Tätigkeit im Pankower Hospiz zur Caritas. War zunächst Gruppenleiter in der Werbemittelwerkstatt.