Der erste Kuss war heimlich
Von Anja Hamm | Oranienburger Generalanzeiger
Birgit Jeche und Klaus Theuring heiraten und beweisen, dass geistig Behinderte selbstbestimmt leben können
Beetz/Kremmen | Den neuen Namen hat er schon mal schreiben geübt – Jeche. So wird Klaus Theuring ab heute heißen, wenn er und seine Freundin Birgit sich im Kremmener Standesamt das Ja-Wort geben. „Jeche schreibt sich einfacher“, erklärt der 48-Jährige die eher ungewöhnliche Entscheidung, den Namen der Frau anzunehmen. Diesem großen Tag, an dem das Paar seinen Traum wahrmacht und heiratet, gingen viele Jahre harter Arbeit voraus. Nicht nur das Schreiben haben sie in dieser Zeit gelernt.
Klaus Theuring und Birgit Jeche sind geistig behindert, von Geburt an wegen frühkindlicher Hirnschäden. Eine Schule haben beide nie besucht. Birgit Jeche, 42 Jahre alt, verbrachte 25 Jahre im Heim, Klaus 39 Jahre, also weitaus länger, bis beide der Sommerfelder Einrichtung 2007 den Rücken kehrten, um endlich in eine eigene Wohnung zu ziehen. Seitdem führen sie ein eigenständiges, betreutes Leben mit der Unterstützung des Ehepaars Speckmann, das den beiden, gleich zu welcher Uhrzeit, als gesetzliche Betreuer zur Seite steht.
„Dass diese Menschen heiraten, ist etwas Besonderes“, sagt Hans-Joachim Speckmann. Er und seine Frau Brigitte kennen das Paar seit zehn Jahren und haben sich dafür eingesetzt, dass Birgit Jeche und Klaus Theuring einen selbstbestimmten Alltag führen, wie es in einer Einrichtung niemals möglich gewesen wäre. „Das Heim hat sich gegen den Auszug gesperrt“, sagen die Betreuer.
Und sie haben das erste Techtelmechtel der beiden miterlebt. Im Jahr 2003 begann die gemeinsame Geschichte von Birgit und Klaus. Der breitschultrige, jugendlich wirkende Mann mit den hellen Augen hatte ein Auge auf Birgit, eine zurückhaltende und freundliche junge Frau, geworfen. Klaus Theuring erinnert sich genau an den ersten Kuss. „Der war heimlich“, sagt er und lächelt ein wenig. „Beim Gute-Nacht-Sagen hab ich Birgit in ihrem Zimmer geküsst.“ Aufgeregt waren die beiden dabei nicht, behaupten sie. Für beide ist es die zweite Beziehung. Weil seine erste Freundin fremdging, machte Klaus Theuring Schluss. Treue, sagt er, ist ihm wichtig. Birgit Jeche nickt zustimmend. „Er ist lieb, hilfsbereit“, zählt sie auf, was sie an ihrem Mann besonders schätzt. „Er kann kochen“, fällt ihr dann noch ein. Sie selbst könne backen. „Aber ich lerne sie an“, schiebt Klaus Theuring hinterher. Als sie einmal gemeinsam einen Kuchen machten, ging das in die Hose, erinnert er sich. „Der Kuchen war dann so hoch“, sagt Klaus Theuring und hebt die Hand über der Tischplatte zum Spaß auf Augenhöhe. Statt drei Eier hatten sie nur eins in den Teig gerührt.
„Sie können sich prima ergänzen“, bestätigt Hans-Joachim Speckmann. Birgit Jeche ist im Lesen und Schreiben fitter als ihr Mann, der hat gerade sein erstes Semester im Schreib‑, Lese- und Rechenkurs an der Kreisvolkshochschule absolviert. „Schreiben ist mir wichtig“, betont er. Beide machen einen PC-Kurs, dazu kommen viele Hobbys, mit denen sie sich nach der Arbeit in der Werkstatt St. Johannesberg beschäftigen: Chor und Modelleisenbahn, Fitness, Handarbeiten und E‑Bike-Fahren. „Ich bin froh, dass ich selbstständig bin, dass ich meine Ruhe habe“, sagt Klaus Theuring. „Wunderbar“ findet er es in der eigenen Drei-Zimmer-Wohnung, dem ersehnten Rückzugsort. „Die Heime sind proppevoll“, erklärt Speckmann den Wunsch der beiden nach Ruhe.
Die weicht heute der Aufregung. Freunde, Bekannte und Nachbarn werden zur Hochzeitsfeier kommen. Im grauen Anzug mit weißer Fliege führt Klaus Theuring Birgit ins Standesamt. Das lange blaue Brautkleid war zwar nicht ihr Traumkleid, gibt Birgit Jeche zu, die sich ein ausladendes gewünscht hatte. Aber das Blaue gefällt ihr dennoch, und sie kann es danach auch zu anderen Anlässen tragen. Speckmann macht deutlich, dass die Entscheidung auch nach praktischen Kriterien getroffen wurde: „Die beiden bezahlen die gesamte Hochzeit selbst.“ 1200 Euro im Monat verdienen die Beetzer zusammen, davon müssen sie ihren gesamten Lebensunterhalt bestreiten. Für eine Urlaubsfahrt im Jahr legen sie Geld zurück. Und in diesem Jahr steckten sie ihr Gespartes in die Flitterwochen – zehn Tage fahren sie an die polnische Ostsee.
Und welche Träume hat das Paar für seine Zukunft? Die Frage macht beide nachdenklich, eine Antwort wollen sie sich gut überlegen. „Dass wir glücklich bleiben“, sagt die Braut. „Dass wir bis ans Lebensende zusammen bleiben“, sagt dann Klaus Theuring, der sich auch wünscht, mit seiner Frau in einer Welt zu leben, in der Frieden herrscht. Kinder aber kommen ihnen nicht ins Haus. „Um Gottes Willen, nein!“, ruft sie und lacht dabei. Keineswegs haben sie etwas gegen Kinder, aber: „Ich bin zufrieden, dass ich Tante bin“, sagt sie. „Und Klaus ist Onkel.“ Zwei Neffen haben sie, drei und sieben Jahre alt. Das reicht fürs Erste.
Jetzt denken beide nur an die Hochzeit, bei der die Gäste ordentlich poltern dürfen – und feiern. Das Brautpaar wird das Fest traditionell mit einem Tanz eröffnen. Dass seine Frau nicht tanzen kann, stört Klaus Theuring nicht: „Ich kann ja tanzen.“