Der ers­te Kuss war heimlich

9. Jun 2012 | Pres­se, Pres­se 2012 | 0 Kom­men­ta­re

Von Anja Hamm | Ora­ni­en­bur­ger Generalanzeiger

Bir­git Je­che und Klaus Theu­ring hei­ra­ten und be­wei­sen, dass geis­tig Be­hin­der­te selbst­be­stimmt le­ben können

Beetz/Kremmen | Den neu­en Na­men hat er schon mal schrei­ben ge­übt – Je­che. So wird Klaus Theu­ring ab heu­te hei­ßen, wenn er und sei­ne Freun­din Bir­git sich im Krem­me­ner Stan­des­amt das Ja-Wort ge­ben. „Je­che schreibt sich ein­fa­cher“, er­klärt der 48-Jäh­ri­ge die eher un­ge­wöhn­li­che Ent­schei­dung, den Na­men der Frau an­zu­neh­men. Die­sem gro­ßen Tag, an dem das Paar sei­nen Traum wahr­macht und hei­ra­tet, gin­gen vie­le Jah­re har­ter Ar­beit vor­aus. Nicht nur das Schrei­ben ha­ben sie in die­ser Zeit gelernt.

Klaus Theu­ring und Bir­git Je­che sind geis­tig be­hin­dert, von Ge­burt an we­gen früh­kind­li­cher Hirn­schä­den. Eine Schu­le ha­ben bei­de nie be­sucht. Bir­git Je­che, 42 Jah­re alt, ver­brach­te 25 Jah­re im Heim, Klaus 39 Jah­re, also weit­aus län­ger, bis bei­de der Som­mer­fel­der Ein­rich­tung 2007 den Rü­cken kehr­ten, um end­lich in eine ei­ge­ne Woh­nung zu zie­hen. Seit­dem füh­ren sie ein ei­gen­stän­di­ges, be­treu­tes Le­ben mit der Un­ter­stüt­zung des Ehe­paars Speck­mann, das den bei­den, gleich zu wel­cher Uhr­zeit, als ge­setz­li­che Be­treu­er zur Sei­te steht.

Dass die­se Men­schen hei­ra­ten, ist et­was Be­son­de­res“, sagt Hans-Joa­chim Speck­mann. Er und sei­ne Frau Bri­git­te ken­nen das Paar seit zehn Jah­ren und ha­ben sich da­für ein­ge­setzt, dass Bir­git Je­che und Klaus Theu­ring ei­nen selbst­be­stimm­ten All­tag füh­ren, wie es in ei­ner Ein­rich­tung nie­mals mög­lich ge­we­sen wäre. „Das Heim hat sich ge­gen den Aus­zug ge­sperrt“, sa­gen die Betreuer.

Und sie ha­ben das ers­te Tech­tel­mech­tel der bei­den mit­er­lebt. Im Jahr 2003 be­gann die ge­mein­sa­me Ge­schich­te von Bir­git und Klaus. Der breit­schult­ri­ge, ju­gend­lich wir­ken­de Mann mit den hel­len Au­gen hat­te ein Auge auf Bir­git, eine zu­rück­hal­ten­de und freund­li­che jun­ge Frau, ge­wor­fen. Klaus Theu­ring er­in­nert sich ge­nau an den ers­ten Kuss. „Der war heim­lich“, sagt er und lä­chelt ein we­nig. „Beim Gute-Nacht-Sa­gen hab ich Bir­git in ih­rem Zim­mer ge­küsst.“ Auf­ge­regt wa­ren die bei­den da­bei nicht, be­haup­ten sie. Für bei­de ist es die zwei­te Be­zie­hung. Weil sei­ne ers­te Freun­din fremd­ging, mach­te Klaus Theu­ring Schluss. Treue, sagt er, ist ihm wich­tig. Bir­git Je­che nickt zu­stim­mend. „Er ist lieb, hilfs­be­reit“, zählt sie auf, was sie an ih­rem Mann be­son­ders schätzt. „Er kann ko­chen“, fällt ihr dann noch ein. Sie selbst kön­ne ba­cken. „Aber ich ler­ne sie an“, schiebt Klaus Theu­ring hin­ter­her. Als sie ein­mal ge­mein­sam ei­nen Ku­chen mach­ten, ging das in die Hose, er­in­nert er sich. „Der Ku­chen war dann so hoch“, sagt Klaus Theu­ring und hebt die Hand über der Tisch­plat­te zum Spaß auf Au­gen­hö­he. Statt drei Eier hat­ten sie nur eins in den Teig gerührt.

Sie kön­nen sich pri­ma er­gän­zen“, be­stä­tigt Hans-Joa­chim Speck­mann. Bir­git Je­che ist im Le­sen und Schrei­ben fit­ter als ihr Mann, der hat ge­ra­de sein ers­tes Se­mes­ter im Schreib‑, Lese- und Re­chen­kurs an der Kreis­volks­hoch­schu­le ab­sol­viert. „Schrei­ben ist mir wich­tig“, be­tont er. Bei­de ma­chen ei­nen PC-Kurs, dazu kom­men vie­le Hob­bys, mit de­nen sie sich nach der Ar­beit in der Werk­statt St. Jo­han­nes­berg be­schäf­ti­gen: Chor und Mo­dell­ei­sen­bahn, Fit­ness, Hand­ar­bei­ten und E‑­Bike-Fah­ren. „Ich bin froh, dass ich selbst­stän­dig bin, dass ich mei­ne Ruhe habe“, sagt Klaus Theu­ring. „Wun­der­bar“ fin­det er es in der ei­ge­nen Drei-Zim­mer-Woh­nung, dem er­sehn­ten Rück­zugs­ort. „Die Hei­me sind prop­pe­voll“, er­klärt Speck­mann den Wunsch der bei­den nach Ruhe.

Die weicht heu­te der Auf­re­gung. Freun­de, Be­kann­te und Nach­barn wer­den zur Hoch­zeits­fei­er kom­men. Im grau­en An­zug mit wei­ßer Flie­ge führt Klaus Theu­ring Bir­git ins Stan­des­amt. Das lan­ge blaue Braut­kleid war zwar nicht ihr Traum­kleid, gibt Bir­git Je­che zu, die sich ein aus­la­den­des ge­wünscht hat­te. Aber das Blaue ge­fällt ihr den­noch, und sie kann es da­nach auch zu an­de­ren An­läs­sen tra­gen. Speck­mann macht deut­lich, dass die Ent­schei­dung auch nach prak­ti­schen Kri­te­ri­en ge­trof­fen wur­de: „Die bei­den be­zah­len die ge­sam­te Hoch­zeit selbst.“ 1200 Euro im Mo­nat ver­die­nen die Beet­zer zu­sam­men, da­von müs­sen sie ih­ren ge­sam­ten Le­bens­un­ter­halt be­strei­ten. Für eine Ur­laubs­fahrt im Jahr le­gen sie Geld zu­rück. Und in die­sem Jahr steck­ten sie ihr Ge­spar­tes in die Flit­ter­wo­chen – zehn Tage fah­ren sie an die pol­ni­sche Ostsee.

Und wel­che Träu­me hat das Paar für sei­ne Zu­kunft? Die Fra­ge macht bei­de nach­denk­lich, eine Ant­wort wol­len sie sich gut über­le­gen. „Dass wir glück­lich blei­ben“, sagt die Braut. „Dass wir bis ans Le­bens­en­de zu­sam­men blei­ben“, sagt dann Klaus Theu­ring, der sich auch wünscht, mit sei­ner Frau in ei­ner Welt zu le­ben, in der Frie­den herrscht. Kin­der aber kom­men ih­nen nicht ins Haus. „Um Got­tes Wil­len, nein!“, ruft sie und lacht da­bei. Kei­nes­wegs ha­ben sie et­was ge­gen Kin­der, aber: „Ich bin zu­frie­den, dass ich Tan­te bin“, sagt sie. „Und Klaus ist On­kel.“ Zwei Nef­fen ha­ben sie, drei und sie­ben Jah­re alt. Das reicht fürs Erste.

Jetzt den­ken bei­de nur an die Hoch­zeit, bei der die Gäs­te or­dent­lich pol­tern dür­fen – und fei­ern. Das Braut­paar wird das Fest tra­di­tio­nell mit ei­nem Tanz er­öff­nen. Dass sei­ne Frau nicht tan­zen kann, stört Klaus Theu­ring nicht: „Ich kann ja tanzen.“