Sor­gen bei Ca­ri­tas und Lebenshilfe

19. Mrz 2020 | Pres­se, Pres­se 2020 | 0 Kom­men­ta­re

Von Klaus D. Gro­te | Ora­ni­en­bur­ger Generalanzeiger

Co­ro­na­kri­se Werk­stät­ten müs­sen mit we­ni­ger Be­schäf­tig­ten ar­bei­ten. Die Ein­rich­tung in der Lehnitz­stra­ße schließt. Be­treu­er wer­den in Su­per­märk­ten be­droht, weil sie für Wohn­grup­pen Groß­ein­käu­fe tätigen.

Die Ein­rich­tun­gen für Men­schen mit Be­hin­de­rung ste­hen we­gen der Co­ro­na­pan­de­mie vor ei­ner rie­si­gen Her­aus­for­de­rung. „Wir müs­sen un­se­re Frei­zeit­ein­rich­tung schlie­ßen. Die Leu­te wis­sen nicht, wo­hin“, sagt Uta Ger­ber, Ge­schäfts­füh­re­rin der Le­bens­hil­fe Ober­ha­vel Süd. Sie fürch­ten ei­nen Kol­ler, wenn die Men­schen nichts mehr un­ter­neh­men könn­ten. Ei­ni­ge Be­trof­fe­ne wür­den die Si­tua­ti­on nur schwer ver­ste­hen. Noch dazu fie­len Fach­kräf­te aus, weil sie zu Hau­se ihre Kin­der be­treu­en müss­ten. Uta Ger­ber be­fürch­tet, dass die Si­tua­ti­on noch viel dra­ma­ti­scher wer­den könn­te, wenn die Men­schen mit Be­hin­de­rung nicht mehr in den Werk­stät­ten der Nord­bahn gGmbH ar­bei­ten kön­nen und mehr Frei­zeit haben.

Wir brau­chen Un­ter­stüt­zun­gen für so­zia­le Ein­rich­tun­gen, auch nach der Krise.“

Mi­cha Schaub, Ge­schäfts­füh­rer Nord­bahn gGmbH

Der­zeit sind die Werk­stät­ten noch ge­öff­net. Es sei den Be­schäf­tig­ten aber frei­ge­stellt, zu Hau­se zu blei­ben, sagt Nord­bahn-Ge­schäfts­füh­rer Mi­cha Schaub. 35 Pro­zent der 400 Be­schäf­tig­ten mach­ten da­von Ge­brauch. Un­ter ih­nen sei­en auch Men­schen, die zu den Ri­si­ko­per­so­nen ge­hö­ren. Sie wür­den auch in Ab­spra­che mit den An­ge­hö­ri­gen zu Hau­se bleiben.

Die Pro­duk­ti­on lau­fe wei­ter. In den Werk­stät­ten wur­den Des­in­fek­ti­ons­spen­der auf­ge­stellt. In der Kan­ti­ne gibt es nur noch 35 statt 75 Plät­ze. Die Werk­stät­ten wür­den ei­nen Not­fall- und Kri­sen­plan vor­be­rei­ten für den Fall, dass die Pro­duk­ti­on ein­ge­stellt wer­den muss, so Schaub. Die Be­schäf­tig­ten könn­ten dann ge­ge­be­nen­falls auch vor Ort be­treut werden.

Sor­gen macht sich der Werk­stät­ten­lei­ter aber um die fi­nan­zi­el­le Zu­kunft sei­nes Hau­ses. Wer­den die Kos­ten­sät­ze, mit de­nen das Land je­den ein­zel­nen Be­schäf­tig­ten der Werk­statt för­dert, auch bei ei­ner Schlie­ßung der Nord­bahn wei­ter­ge­zahlt? „Das Durch­hal­ten kann zu ei­nem Kraft­akt wer­den. Die Ver­bind­lich­kei­ten lau­fen ja wei­ter“, sagt Schaub. Die Be­schäf­tig­ten wür­den aber wei­ter ihr Geld er­hal­ten, ver­si­chert er und for­dert: „Wir brau­chen Un­ter­stüt­zun­gen für so­zia­le Ein­rich­tun­gen, auch nach der Kri­se.“ Bis­her sei das aber kaum the­ma­ti­siert worden.

Sys­tem­re­le­van­te Auf­trä­ge
In den Ca­ri­tas-Werk­stät­ten St. Jo­han­nes­berg in Ora­ni­en­burg ist die Lohn­fort­zah­lung eben­falls ge­si­chert, sagt Werk­statt­lei­ter Chris­toph Lau. Auch bei der Ca­ri­tas dür­fen die Be­schäf­tig­ten zu Hau­se blei­ben. Ein Drit­tel von ih­nen, etwa 100 Be­schäf­tig­te, sei ak­tu­ell noch in den Werk­stät­ten tä­tig. Ge­öff­net blie­be auf je­den Fall, ver­si­chert Lau. „Wir ha­ben Auf­trä­ge zu er­fül­len.“ Zu den Kun­den zäh­len gro­ße Fir­men, dar­un­ter Schie­nen­fahr­zeug­her­stel­ler und Ora­fol. Not­falls wür­den al­lein die haupt­amt­li­chen Be­schäf­tig­ten ar­bei­ten. „Bei uns gibt es auch sys­tem­re­le­van­te Be­rei­che“, er­klärt Lau. Die Kü­che, „Can­ti­na“, ver­sorgt auch Ki­tas und ei­ge­ne Ein­rich­tun­gen mit Es­sen. In der Wä­sche­rei wird un­ter an­de­rem Häft­lings­klei­dung der JVA Wul­kow ge­rei­nigt. Auch die Ca­ri­tas-Werk­stät­ten pla­nen eine Not­fall­be­treu­ung für ihre Beschäftigten.

Doch noch ein wei­te­res, völ­lig neu­es Pro­blem er­gibt sich durch die Co­ro­na­pan­de­mie. „Un­se­re Be­treu­er wer­den beim Ein­kau­fen be­schimpft und be­droht“, sagt Uta Ger­ber. So­gar Prü­gel wur­den an­ge­droht, weil den Be­treu­ern un­ter­stellt wer­de, dass sie Hams­ter­käu­fe er­le­di­gen wür­den. Da­bei kauf­ten sie le­dig­lich für die Wohn­grup­pen der Vil­la Son­nen­schein in Lehnitz mit 25 Be­woh­nern und der Ro­ten Vil­la in Vel­ten (24 Be­woh­ner) ein. „Der Ein­kaufs­wa­gen ist dann im­mer sehr voll“, sagt Uta Ger­ber. Seit in den Me­di­en von Hams­ter­käu­fen be­rich­tet wird, gibt es al­ler­dings Pro­ble­me. Mehr­fach gab es Be­dro­hun­gen durch an­de­re Kun­den bei Rewe in der Lehnitz­stra­ße und im Lidl-Markt in der An­dré-Pi­can-Stra­ße so­wie in Velten.

Die Le­bens­hil­fe hat des­halb eine gro­ße Zei­tungs­an­zei­ge ge­schal­tet. „Bit­te las­sen Sie uns un­se­re Grup­pen­ein­käu­fe ma­chen. Wir ma­chen kei­ne Hams­ter­käu­fe. Wir müs­sen un­se­re be­treu­ten Men­schen ver­sor­gen“, ist dar­auf zu le­sen. „Ich habe die An­zei­ge aus­ge­druckt und la­mi­niert. Die kommt dann beim Ein­kau­fen an den Wa­gen“, sagt Uta Gerber.

In Ora­ni­en­burg und Schönfließ

Die Ca­ri­tas-Werk­statt St. Jo­han­nes­berg ar­bei­tet an drei Stand­or­ten in Ora­ni­en­burg. In der Can­ti­na wer­den täg­lich 700 Por­tio­nen Es­sen ge­kocht und aus­ge­lie­fert.
Die Nord­bahn-Werk­statt für Men­schen mit Be­hin­de­rung in Schön­fließ. Her­ge­stellt wer­den un­ter an­de­rem Park­mö­bel, Son­der­ma­schi­nen und Druckerzeugnisse.