Lebensfreude pur
Seit 120 Jahren steht der St. Johannesberg in Oranienburg für Nächstenliebe. Hier ist die Caritas Lebensmittelpunkt für mehrere hundert Menschen mit Beeinträchtigung jeden Alters. Zum Jubiläum feierten rund 600 Gäste neben der jahrhundertelangen Tradition vor allem eins: Lebensfreude. Denn trotz 120 Jahren ist hier nichts eingestaubt, im Gegenteil, der St. Johannesberg ist ein echter Zukunftsmotor.
“Mir macht alles an meiner Arbeit Spaß”, sagt Stephan am Tag der Jubiläumsfeier voller Überzeugung – und man glaubt es dem 38-Jährigen mit verschmitztem Lächeln und blauer Sonnenbrille sofort. Seit 2001 arbeitet Stephan in der Wäscherei hier am St. Johannesberg. Die Wäscherei ist nur einer der vielen kleinen und großen “Caritas-Kosmen” an diesem geschichtsträchtigen Ort. Die drei größten sind das Caritas-Wohnen, die Caritas-Schule und die Caritas-Werkstatt. “Wir im Caritas-Wohnen wollen ein echtes Zuhause gestalten für unsere Bewohner mit geistiger Beeinträchtigung. Wenn sie sich das wünschen, auch für das ganze Leben”, erzählt Benno Ottlewski, der bereits seit 1986 zum Haus gehört und zwei Jahre später zum Leiter wurde. “Das Tolle ist, dass man sich in sein eigenes Reich zurückziehen kann, aber auch Gemeinschaft erleben kann – alles unter einem Dach.” Gemeinschaft ist auch das Zauberwort für die Bewohnerin und Werkstatt-Mitarbeiterin Brit Kaminski: “Am meisten machen mir Gruppenreisen Spaß oder die Disco für alle Bewohner, die gibt es zwei Mal im Jahr.”
In der Caritas-Werkstatt sind über 400 Menschen mit Beeinträchtigung in den unterschiedlichsten Fachgebieten im Einsatz – von der Holz- und Metallverarbeitung über Werbemittelproduktion bis hin zum Gastronomieservice “Cantina” bieten sich hier echte Entfaltungsmöglichkeiten. Denn es handelt sich hier nicht etwa um Beschäftigungsmaßnahmen – hier werden jeden Tag hundertfach Dienstleistungen für Privatpersonen, Handwerksbetriebe und Industrie erbracht. Christoph Lau gehört seit 22 Jahren zur Werkstatt und leitet sie seit 13 Jahren. Er sieht den eigentlichenn Wert aber ebenfalls im Beisammensein. “Man darf nicht vergessen, dass eine Behinderung die Mobilität in allen Hinsichten einschränkt und wir ein sozialer Ort sind – für manche sogar der wichtigste in ihrem Leben.”
Auch Andrea Wenske, seit 2015 Leiterin der Caritas-Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung, bestätigt den hohen Wohlfühlfaktor: “Unsere Schüler freuen sich tatsächlich, wenn die Ferien zu Ende sind und sie endlich wieder ihre Struktur haben und ihre Mitschüler sehen können”. Andrea Wenske selbst fühlte sich als Referendarin so wohl, dass sie direkt nach dem Staatsexamen im Jahr 2003 an der Schule anfing zu unterrichten. Nicht mehr als sieben bis neun Schüler gehen hier zusammen in eine Klasse, unterrichtet von zwei Lehrkräften und einer Betreuerin oder einem Betreuer. An Plänen und Herausforderungen für die Zukunft mangelt es am St. Johannesberg trotz aller Harmonie nicht. “Mein größtes Ziel ist es, die Schule zu erhalten, denn vonseiten der Politik steht jetzt Inklusion im Vordergrund und wir als Förderschule müssten dann abgeschafft werden”, sagt Andrea Wenske mit Bedauern. “Dabei höre ich von vielen Eltern, dass ihre Kinder an Schulen mit Inklusionsansatz scheitern.”
Benno Ottlewski sieht für seine Bewohner vor allem das Thema Älterwerden auf dem Plan für die nächsten Jahre. “Aktuell planen wir einen ganzen Bereich so um, dass Bewohner mit höherem Pflegebedarf zusammen wohnen, damit wir eine gute Versorgung sicherstellen können.”
Christoph Lau blickt ebenfalls mit viel Tatendrang in die Zukunft: “Ich habe das Gefühl, jedes Jahr eine neue Werkstatt zu leiten – so viel Veränderung und so viele Gestaltungsmöglichkeiten sehe ich bei meinen Kollegen von anderen Trägern nicht.” In einem Punkt sind sich alle drei Caritas-Fachleute einig: Sie wollen bis zur Rente hier am St. Johannesberg bleiben und ihren Aufgaben nachgehen. Andrea Wenske und Christoph Lau erzählen, dass mittlerweile sogar die zweite Generation ihrer Anvertrauten in Schule und Werkstatt angekommen ist – manchmal ein komisches Gefühl, aber auch sehr schön. Doch die kleinen und großen “Caritas-Kosmen” hier in Oranienburg, so gut sie für die Menschen mit Beeinträchtigung funktionieren, so sehr sie einen Lebensmittelpunkt und ein Zuhause für unbegrenzte Zeit bieten, sie können auch ein Sprungbrett in ein neues Leben sein. “Für mich sind es die faszinierendsten Erlebnisse, wenn Beschäftigte mit der Zeit über sich selbst hinaus wachsen, vor allem innerhalb der Werkstatt, und manchmal sogar auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen”, sagt Christoph Lau. “Für mein Leben gut”, das ist eben nicht nur der neue Claim der gemeinnützigen Caritas Familienund Jugendhilfe, zu der Wohnen, Schule und Werkstatt gehören. Es ist die Essenz von St. Johannesberg.
Die Geschichte von St. Johannesberg
1899: Gründung, der Orden der Dominikanerinnen am Arenberg richtet ein Waisenhaus für 60 Kinder ein.
1954: Aufnahme der ersten Kinder mit geistiger Behinderung.
1980: Erste Kooperationen mit regionalen Unternehmen im Rahmen der Arbeitstherapie beginnen.
1991: Die Caritas- Werkstatt und die Caritas-Schule gründen sich. Das Wohnheim wird von der Caritas Familien- und Jugendhilfe gGmbH übernommen.
1998: Neubau von Wohnhäusern und der Hauptwerkstatt.
2003: Die Schule zieht in einen Neubau auf dem St. Johannesberg um.
2005 bis heute: Die Werkstatt wird stetig erweitert, die Betreuung von Bewohnerinnen und Bewohnern ausgebaut.