Werkstatt Dialog
Eine Untersuchung zur Arbeitsplatzzufriedenheit in der Caritas-Werkstatt Oranienburg
In den roten Schreibmappen hat alles seine Ordnung: der Fragebogen mit insgesamt vierzig Fragen zum Arbeitsalltag in der Werkstatt, das Postskript für die Notizen und Angaben zum Interview verlauf, die Hinweise zur Interviewdurchführung. Dazu Bildkarten zur visuellen Verdeutlichung der Antwortmöglichkeiten. In der Werkstatt weiß man: Es ist wieder Freitag.
Über mehrere Monate im Jahr 2018, eben freitags, sind speziell qualifizierte Beschäftigte in den Standorten der Caritas-Werkstatt unterwegs, um ihre Kolleginnen und Kollegen zur Zufriedenheit an ihrem Arbeitsplatz und in der Werkstatt insgesamt zu befragen.
Doch bevor es soweit war, gab es eine Menge Arbeit zu erledigen. Katharina Riedel leitet in der Caritas-Werkstatt den Berufsbildungsbereich Campus Q. Berufliche Bildung ist ein Schlüsselthema in der Caritas-Werkstatt. So sind auch die Produktionsleiter an den Kompetenzanalysen für die Beschäftigten im Arbeitsbereich beteiligt. Jedes Jahr veröffentlicht die Werkstatt ein umfangreiches Fortbildungsprogramm – gleichermaßen für die Werkstattbeschäftigten und das hauptamtliche Personal. Ein Jobcoach unterstützt Beschäftigte auf ihrem Weg in weiterführende Beschäftigungsverhältnisse oder den allgemeinen Arbeitsmarkt. Geplant werden die Entwicklungsschritte in einem Jahresgespräch, das die Fachkräfte mit jedem Beschäftigten führen.
Peer to Peer-Befragung
Doch das Format Beschäftigte fragen Beschäftigte ist ein Projekt von besonderem Reiz. Der Staatenbericht der Vereinten Nationen zur Konvention über die Rechte behinderter Menschen kritisierte 2015 das System der Werkstätten, verlangt gar dessen schrittweise Abschaffung. In der Öffentlichkeit verstärkt sich die Kritik an den Werkstätten und ihren geringen Vermittlungsperspektiven. Was liegt also näher, als die größten Experten zu den Belangen von Werkstattbeschäftigten zu befragen – die Beschäftigten selbst?
Katharina Riedel studiert zu dieser Zeit Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Die Beschäftigtenbefragung mit der methodischen Entwicklung und der anschließenden Durchführung wird Teil ihrer Master-Thesis. Auf einen Aushang in den Standorten der Caritas-Werkstatt melden sich gut 20 Beschäftigte, um später die Interviews zu führen – als sogenannte Ko-Forschende.
Über persönliche Netzwerke wurden weitere Unterstützer gefunden: Schülerinnen und Schüler der Heilerziehungspflege an der Emil-Molt-Akademie, die die Ko-Forschenden in der Interviewsituation unterstützen, Antworten protokollieren oder wenn nötig erläutern und vermitteln.
Forschungsvorgehen
Die partizipative Forschung verfolgt den Anspruch, die Ko-Forschenden umfänglich in die Fragebogenentwicklung einzubeziehen. In verschiedenen Verfahren – etwa Photovoice, Fantasiereise, Wunschbaum oder Brainstorming – werden Anliegen und Themen der Befragung eingegrenzt. Es entsteht der erste Entwurf eines Gesprächsleitfadens mit den Arbeitsweltaspekten: 1. Arbeit und begleitendes Angebot, 2. Räumlichkeiten und Arbeitsumfeld, 3. Betriebsklima und Miteinander, 4. Cantina und Versorgung, 5. Organisation und Abläufe, 6. Entlohnung, 7. Modernisierung der Werkstattleitung. Nach und nach wurden aus diesem Themenabriss konkrete Fragestellungen und Antwortskalierungen entwickelt. Ausgewählte Symbole auf Bildkarten dienen der Visualisierung von Fragen und Antwortmöglichkeiten für Befragte mit eingeschränkten Verständnis- und Lesekompetenzen. Am Ende dieses Formulierungs- und Gestaltungsprozesses wurde der Fragebogenentwurf über die Durchführung von Pre-Tests zu einer partizipativen Freigabe durch die Ko-Forschenden selbst gebracht. Die Konzeptionsphase endete schließlich mit einer eingehenden Schulung der Interviewenden.
Die Freiwilligkeit der Befragten sollte ein wesentliches Prinzip der Befragung sein und so wurden am Ende nicht alle, aber doch sehr viele Beschäftigte befragt. Es waren 262 von insgesamt 400 Beschäftigten.
Speziell hergerichtete Räumlichkeiten in der Caritas-Werkstatt ermöglichten eine konzentrierte Gesprächssituation. Dank der qualifizierten und engagierten Interviewtandems und der interessierten und auskunftsfreudigen Beschäftigten der Caritas-Werkstatt entwickelte sich eine Vielzahl produktiver Gespräche. Die am Ende 255 vollständig ausgefüllten Fragebögen ermöglichten eine fundierte und repräsentative Datenbasis.
Die größten Fans
Die Befragungsergebnisse belegen eine außerordentlich hohe Zustimmung nicht nur zum konkreten Arbeitsplatz, sondern auch zum Konzept der Werkstätten an sich. So äußern 206 Beschäftigte, mit der Arbeit und den eigenen Aufgaben zufrieden zu sein, 172 erhalten ausreichend Anerkennung im Arbeitsalltag. Und 210 der befragten Beschäftigten (82%) wünschen sich, auch in fünf Jahren noch in der Caritas-Werkstatt zu arbeiten; davon 161 in ihrer jetzigen Arbeitsgruppe, 31 in einer anderen Abteilung und 18 auf einem ausgelagerten Arbeitsplatz. Wer vorschnell einer Abschaffung von Werkstätten das Wort redet, tut dies jedenfalls nicht im Namen der Betroffenen. Die größten Fans der Werkstatt sind die Beschäftigten selbst.
Überhaupt ist die Werkstatt gerade für Beschäftigte mit eingeschränkter Mobilität ein Ort des Miteinanders, eine Börse des Sozialen, ein wichtiges Stück Lebensqualität So geben nahezu 80% der befragten Beschäftigten an, in der Werkstatt Freunde gefunden zu haben.
Blick in die Zukunft
Und auch um die Zukunft der Werkstattleistung machen sich die Beschäftigten Gedanken. So interessiert sich die Hälfte der Befragten für den Erwerb von Bildungsabschlüssen und Zertifikaten sowie für eine Methodenvielfalt in der Beruflichen Bildung mit modernen Technologien wie Computer oder Tablets. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten wünscht sich eine persönliche Beteiligung an den Fachausschusssitzungen bzw. den künftigen Verfahren zur Teilhabeplanung. Und natürlich haben die meisten Beschäftigten auch eine Meinung, was sie tun würden, wenn sie einen Tag lang Werkstattleiter oder ‑leiterin sein dürften.
Vorgestellt haben die Beschäftigten die Ergebnisse ihrer Befragung am Ende übrigens vor interessiertem Publikum aus Beschäftigten und hauptamtlichen Fachkräften selbst. Sie präsentierten die Caritas-Werkstatt als einen Teil ihrer Lebenswelt – weit mehr als ein Arbeitsplatz. Die Werkstatt ist ein Ort des Lernens und Arbeitens, ein Ort des Gelingens und des sozialen Miteinanders. Nicht alles ist vollkommen. Die Caritas-Werkstatt ist kein Paradies, sondern eine alltägliche Welt. Besonders wird sie durch die Menschen, die hier arbeiten. Liebenswürdig, ideenreich, originell. Eben alles, außer gewöhnlich.