Von Heike Bergt | Märkische Allgemeine Zeitung
Es war lnes Krügers größter Wunsch. von keinem Amt mehr finanziell abhängig zu sein – mit Ausbildungsstart wird sie die Caritas-Werkstatt verlassen
Oranienburg. Einen eisernen Willen, den kann man lnes Krüger wirklich nicht absprechen. Die 28 Jährige kämpft ihr ganzes Leben lang. In einer Woche beginnt ihre Ausbildung zur Verkaufen und damit geht allmählich ihr größter Traum in Erfüllung: selbstständig leben zu können. Von keinem finanziell abhängig zu sein. Irgendwann mit ihrem Freund eine gemeinsame Wohnung beziehen zu können. Es war ein langer Weg.
Ines Krüger stammt aus der Lutherstadt Wittenberg. Aufgewachsen in Dessau, besuchte sie eine Förderschule für Kinder mit Körper- und Lernbehinderungen. Anschließend arbeitet sie in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in Dessau, unter anderem in der Wäscherei. Ihr Handicap beschreibt sie rundweg so: “Ich kann einfach nicht gutschreiben.” Und auch mit Mathe stehe sie auf Kriegsfuß. Aber am meisten hatte sie wohl mit Vorurteilen zu kämpfen, bei ihr reicht das Potenzial nicht, das habe sie immer wieder zu hören bekommen. Keiner traute ihr etwas zu. “Vor fünf Jahren fand ich, es muss sich was in meinem Leben ändern.” Gesagt, getan. Sie bewarb sich beim DRK, einer Werkstatt in Potsdam und bei der Caritas Werkstatt in Oranienburg. “Die ersten, die sich melden, da gehe ich hin.” Nahm sie sich vor. Es waren die Oranienburger.
“Sie hat eine richtig tolle Bewerbungsmappe geschickt”, erinnert sich die leitende Sozialarbeiterin Veronika Priwitzer, die zusammen mit Job-Coach Alexander Pläp bei der Caritas-Werkstatt St. Johannesberg arbeitet. Alexander Pläp versucht, für Menschen mit Behinderung einen so genannten “ausgelagerten Arbeitsplatz” auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Das sei gar nicht so einfach. Bisher hat die Caritas Unternehmen gefunden für zwölf ausgelagerte Arbeitsplätze. So bei der Bus-Werkstatt der OVG, im Tierpark Germendorf, bei einer Elektrofirma, beim Seniorenwohnen in Velten, bei der HSE Stahlengineering, bei der Eden Genossenschaft, in der Kita “Leuchtturm” des CJO, bei Takeda und bei Edeka.
“Jeder sollte die Chance bekommen, sich auf dem ersten Arbeitsmarkt auszuprobieren”, ist Alexander Pläp überzeugt. Manchmal gebe es Vorbehalte und der Vermittlungsaufwand sei hoch. Und ein wichtiger Baustein ist die enge Begleitung durch den Jobcoach während der Praktika und bei den ausgelagerten Arbeitsplätzen. Eine ehemalige Beschäftigte konnte 2017 als Zimmermädchen in eine Festanstellung in ein Berliner Hotel vermittelt werden. “Wenn es gelingt, Menschen mit psychischer Erkrankung, geistiger Behinderung oder einer Lernbehinderung in eine Ausbildung oder Festanstellung auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, dann ist das für uns immer ein großer Erfolg. Die Wege können lang und beschwerlich sein. Eine gelungene Integration auf den ersten Arbeitsmarkt ist immer das höchste Ziel unserer Arbeit und wer es tatsächlich schafft, ist unendlich stolz. So werden wir unserem Auftrag als Werkstatt gerecht”, so Veronika Priwitzer.
Im September 2014 begann Ines Krüger bei der Caritas in Oranienburg, arbeitete dort in der Küche und im Holzbereich. “Aber ich wollte einfach nicht mehr vom Sozialamt leben. Ich war immer ehrgeizig, wollte raus, selbst Geld verdienen und auf eigenen Füßen stehen”, so die 28-Jährige, die in Oranienburg zu Hause ist. Sie habe viel Unterstützung von ihrer Familie, der Mutter, dem Bruder, ihrem Freund. “Ich habe jetzt das Einmaleins schon wieder drauf”, sagt sie voller Stolz.
Seit Juni letzten Jahres arbeitet sie im Edeka-Markt von Madleen Turban an der Sachsenhausener Straße. Hier räumt sie Waren ins Regal und sitzt sie an der Kasse. Am Anfang hätten die Kunden schon etwas mit den Augen gerollt, “weil es bei mir so langsam ging. Inzwischen sagen sie: Frau Krüger, Sie sind jetzt so schnell. Übrigens: Nummer 7237 sind die Tomaten und 7490 die Gurken”, sagt sie und lacht. Das hätten nicht alle im Kopf. Chefin Madleen Turban findet die Idee der “ausgelagerten Arbeitsplätze” sehr gut. Sie hat einen zweiten in ihrem Markt an der Berliner Straße. Es würden ja beide Seiten profitieren.
Am 1.September heißt es für lnes Krüger Abschied nehmen. Die Theorie für die Ausbildung als “Fachpraktikerin im Einzelhandel” mit lHK-Abschluss erfährt sie im Berufsbildungswerk Oberlinhaus Potsdam, die praktische Arbeit in einem Supermarkt. Ein wenig traurig ist sie schon, aber der Wunsch, eine Ausbildung zu machen und damit auch ihren Hauptschulabschluss zu packen, ist stärker.
Wo sie sich in zehn Jahren sieht? “Eigentlich wollte ich ja immer Schuhe verkaufen. Vielleicht mache ich das dann ja. Jetzt bin ich erstmal stolz, so weit gekommen zu sein. Ich weiß, dass mir die Theorie in der Ausbildung schwerfallen wird”, sagt sie. Aber sie will kämpfen. Wie immer.